Wagniskapital: US-Geldgeber meiden europäische Start-ups

Avocargo

Der Lastenfahrradanbieter scheiterte bei dem Versuch, frisches Geld aufzunehmen.

(Foto: Avocargo)

Berlin Das Energie-Start-up Efficient Energy hat es erfolglos versucht, ebenso der Lebensmittellieferdienst Alpakas und der Lastenfahrradanbieter Avocargo: Sie haben mit verschiedenen Wagniskapitalgebern über dringend benötigte Geldspritzen verhandelt – und sind gescheitert.

Die Beispiele zeigen, wie viel schwerer es in diesem Jahr für Start-ups geworden ist, an Kapital zu kommen. Den Effekt verstärken Investoren aus den USA, die sich kaum noch in Europa engagieren. Im ersten Halbjahr ging hier die Beteiligung von US-Fonds an Deals um fast 70 Prozent zurück. Das zeigen aktuelle Zahlen des Datendienstes Pitchbook vom Donnerstag.

Die Experten führen diese Entwicklung unter anderem auf die Unsicherheiten über die künftige Zinspolitik in Europa, den geringeren Appetit auf grenzübergreifende Deals und die Folgen des Kollapses der Silicon Valley Bank zurück. Wagniskapitalgeber wie Sequoia, Founders Fund und Andreessen Horowitz kümmern sich daher aktuell lieber um ihr US-Portfolio.

Investments in deutsche Start-ups sinken um mehr als die Hälfte

Auch Hedgefonds und Staatsfonds investierten deutlich weniger in Start-ups als noch vor einem Jahr. Viele müssen ihre Beteiligungen ausbalancieren, um die Rückgänge an den Aktienmärkten zu spiegeln. Zurückhaltend waren auch die Investmentbanken und die Investmentsparten von Konzernen.

Diese Reserviertheit wirkt sich deutlich auf Deutschland aus: Laut Pitchbook haben Start-ups hierzulande im ersten Halbjahr lediglich 3,7 Milliarden Euro erhalten. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was noch im Vorjahreszeitraum geflossen ist, und so wenig wie zuletzt 2020.

Vanmoof-Gründer bindet Carlier

Der niederländische E-Bike-Hersteller musste in dieser Woche Insolvenz anmelden – obwohl er schon 190 Millionen Euro von Investoren eingesammelt hatte.

(Foto: VANMOOF via REUTERS)

Damit ist es den deutschen Jungfirmen allerdings noch etwas besser ergangen als dem europäischen Schnitt. Hier gingen die Investitionen um fast 61 Prozent auf 8,9 Milliarden Euro zurück. Eine ähnliche Entwicklung machte vor wenigen Tagen bereits die Unternehmensberatung EY aus.

Die Experten von Pitchbook führen das Minus auf die anhaltend hohen Teuerungsraten, steigende Zinsen, fehlende Börsengänge und die sehr schwierigen Finanzierungsbedingungen für die Wagniskapitalfonds selbst zurück. Analystin Navina Rajan ist sich deswegen auch nicht sicher, ob der Tiefpunkt in Deutschland bereits erreicht wurde: „Wir müssen abwarten, ob die Talsohle durchschritten ist und ob wir in der zweiten Jahreshälfte eine bedeutsame Erholung sehen.“

Die Zurückhaltung der Investoren bringt immer mehr Start-ups in Existenznot. Wann die Geldgeber wieder stärker investieren, dürfte stark davon abhängen, wann sich die Aktienmärkte wiederbeleben und für Börsengänge öffnen. In den USA ist das bereits absehbar.

Firmen müssen Abwertungen in Kauf nehmen

In der Zwischenzeit sind deutlich mehr Start-ups bereit, Abwertungen im Gegenzug für neue Gelder in Kauf zu nehmen. Ein Beispiel dafür ist der Lebensmittelschnelllieferdienst Flink, dessen Firmenwert im Mai bei einer Finanzierungsrunde von drei auf eine Milliarde Euro sank. Auch der Fintech-Riese Klarna musste eine deutlich niedrigere Bewertung hinnehmen.

Der Rückgang der Investitionen drückte sich auch darin aus, dass es weniger Finanzierungsrunden gab. Von April bis Juni fanden in Deutschland 207 Deals statt, während es im zweiten Quartal 2022 noch 334 waren. Dafür gab es laut Pitchbook einen Trend zu etwas größeren Finanzierungsrunden. Während europaweit die Finanzierungsrunden zwischen zehn und 25 Millionen Euro um knapp 40 Prozent einbrachen, lag das Minus bei Deals zwischen 500.000 Euro und einer Million Euro bei 64 Prozent.

Von größeren Geldspritzen versprechen sich Investoren in der Regel, dass die zur Verfügung gestellte Summe dann länger reicht und möglicherweise die Jungfirma auch in die schwarzen Zahlen führt und diese sich damit unabhängig vom Wagniskapital macht. Das dürfte auch der Plan des Münchener Ladeinfrastruktur-Start-ups ChargeX sein, das kürzlich 11,5 Millionen Euro von Investoren erhalten hat.

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Allerdings mangelte es an Kapitalspritzen von mehr als 100 Millionen Euro, die in der Coronakrise noch häufiger waren. Zwei der größeren Ausnahmen kamen aus Frankreich: So gingen mehr als 400 Millionen Euro an das Krypto-Start-up Ledger, die Mehlwürmer-Firma Ynsect erhielt etwa 160 Millionen Euro.

Laut EY gab es im ersten Halbjahr 2022 noch 15 Abschlüsse im Wert von mehr als 100 Millionen Euro. Ein Jahr später wurden nur noch fünf Investitionen in dieser Dimension gezählt.

KI-Start-ups können zuversichtlich sein

Trotzdem gibt es zumindest einen Lichtblick: Künstliche Intelligenz. In den kommenden Quartalen dürfte es deutlich mehr Finanzierungsrunden für Start-ups aus dem Bereich geben, prognostiziert Pitchbook. Dabei gab es auch schon im ersten Halbjahr einige Deals.

Für Schlagzeilen sorgte das französische Start-up Mistral, das Sprachmodelle für Industrien entwickeln will und bereits kurz nach der Gründung mehr als 100 Millionen Euro einsammelte. Der deutsche Wettbewerber Nyonic will bald auch mit einer Finanzierungsrunde an die Öffentlichkeit gehen.

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Nyonic dürfte allein angesichts des Trendthemas und Geschäftsmodells deutlich bessere Chancen haben als Efficient Energy, Alpakas und Avocargo, die nach dem Scheitern der Verhandlungen alle Insolvenz anmelden mussten. Ähnlich erging es in dieser Woche auch dem E-Bike-Hersteller Vanmoof aus den Niederlanden, der zuvor allerdings schon fast 190 Millionen Dollar von internationalen Investoren erhalten hatte.

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