Erst vor wenigen Monaten haben die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten ihre neue Parteizentrale an der Düsseldorfer Kavalleriestraße eröffnet. Das schicke Bauwerk aus Stahl, Beton und viel Glas soll das architektonische Sinnbild für eine moderne, weltoffene Volkspartei sein, die sich auch von ihrem Debakel bei der Landtagswahl im vorigen Mai nicht unterkriegen lässt. Im Foyer stehen drei beinahe mannshohe, vollplastische rote Großbuchstaben: S – P – D. Der Anspruch lautet: Mit uns ist zu rechnen.
In Wahrheit waren die Großbuchstaben gerade Schauplatz einer großen Niederlage. Am Donnerstag vor einer Woche stellte sich Thomas Kutschaty an das Rednerpult direkt vor dem großen roten P, blickte in die Kameras – und teilte in dürren Worten mit, dass er nach nur zwei Jahren vom Amt des SPD-Landesvorsitzenden zurücktritt. Nachfragen waren nicht zugelassen.
Ebenso hielt es Kutschaty am Dienstag, als er im Landtag seinen Rückzug auch vom Fraktionsvorsitz ankündigte. Mit seinem kleinlauten Etappenabgang zog Kutschaty die verspätete Konsequenz aus dem katastrophalen Abschneiden der SPD bei der Landtagswahl vor zehn Monaten. Wie es auf den Führungspositionen weitergeht, wollen die Genossen in den kommenden Wochen klären.
Krafts Abwahl war schon ein Einschnitt
Die Sozialdemokratie, die sechsundvierzig Jahre – von 1966 bis 2005 und von 2012 bis 2017 – die hegemoniale landespolitische Kraft in Nordrhein-Westfalen war, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Schon die Landtagswahl vor sechs Jahren, bei der die rot-grüne Regierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft abgewählt wurde, war ein historischer Einschnitt.
Doch im Mai 2022 spitzte sich die Lage weiter zu. Unter Kutschatys Führung unterboten die Sozialdemokraten ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis um weitere viereinhalb Punkte, kamen nur noch auf 26,7 Prozent der Stimmen. Die SPD ist gleichsam zurückgebeamt in die Frühphase der Republik, als sie im Land wie im Bund meilenweit von der strukturellen Mehrheitsfähigkeit entfernt war.
Zwischen Rhein und Weser muss die SPD ihre Verluste anderswo kompensieren
Warum es nach einem solchen Debakel nicht zum Aufstand gegen Kutschaty kam, ist ein Rätsel. Zumal die längst verfestigte Krise des mit Abstand größten sozialdemokratischen Landesverbands automatisch auch ein dickes Problem für die Genossen im Bund ist. Die beiden Ebenen sind für die SPD seit jeher eng verwoben.
Nordrhein-Westfalen stellt rund ein Viertel der Wahlberechtigten. Weil die SPD schon lange in vielen Regionen Deutschlands schlecht abschneidet, muss sie bei Bundestagswahlen zwischen Rhein und Weser umso bessere Ergebnisse einfahren. Ohne eine starke nordrhein-westfälische SPD hat Olaf Scholz im Herbst 2025 keine Chancen auf eine zweite Kanzlerschaft. Doch selbst die 29 Prozent aus Nordrhein-Westfalen, die im Herbst 2021 dank des blassen, in den eigenen Reihen demobilisierenden Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet ausreichten, die SPD knapp zur stärksten Kraft im Bund zu machen, erscheinen mittlerweile wie ein Ergebnis aus einer anderen Zeit.
Eine Art „rotes Bayern“
Nun rächt sich, dass die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr es so lange versäumt haben, ehrlich mit sich zu sein. Zu schweren Fehleinschätzungen kam es nach dem bisher letzten Erfolg. Als die Partei 2012 mit Spitzenkandidatin Hannelore Kraft 39,1 Prozent erreichte, glaubten viele Genossen, es beginne die Re-Sozialdemokratisierung des Landes. Und Kraft, die in dieser Zeit unaufhaltsam zur starken Frau der gesamten deutschen Sozialdemokratie aufzusteigen schien, setzte konsequent auf scheinbar bewährte Rezepte.
Ganz bewusst stellte sie sich mit ihrem Anspruch, der „Kümmererpartei“ vorzusitzen, in die Tradition von Johannes Rau. Auf den ersten Blick lag das nahe, weil die Partei in dessen zwei Jahrzehnte währender Ära ihre größten Triumphe feierte: Dreimal errang sie die absolute Mehrheit – 1980, 1985 und 1990. Manche Genossen glaubten damals, Nordrhein-Westfalen sei eine Art „rotes Bayern“.