Finnland Sanna Marin hat hohe Zustimmungswerte – Für einen Wahlsieg könnte das zu wenig sein

Stockholm Finnlands sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin muss bei der Parlamentswahl am Sonntag um ihre Wiederwahl bangen. Alle Umfragen sagen einen äußerst knappen Ausgang und zahlreiche Koalitionsmöglichkeiten voraus.

Die charismatische Regierungschefin hat in den vergangenen Tagen noch einmal alles gegeben, ist von TV-Studio zu TV-Studio geeilt, hat auf Marktplätzen für ihre Partei geworben, um die Chance zu wahren, auch künftig die Regierung führen zu können.

„Sie ist die eindeutig populärste Parteivorsitzende, niemand anderes kommt auch nur in die Nähe ihrer Zustimmungswerte“, sagt Politikprofessor Kimmo Grönlund von der Abo-Akademie in Turku. Von der Popularität der 37-Jährigen habe auch ihre Partei profitiert. „Ohne sie würden die Sozialdemokraten statt der jetzigen rund 20 Prozent vielleicht nur 16 Prozent der Stimmen kommen“, so Grönlund.

In einer von der größten Tageszeitung des Landes, „Helsingin Sanomat“, durchgeführten Umfrage bescheinigten 64 Prozent der Befragten, dass Marin einen „sehr guten“ oder „ziemlich guten“ Job gemacht habe. Unter den befragten Frauen waren es sogar 69 Prozent.

„Es ist äußerst ungewöhnlich in Finnland, dass ein Regierungschef oder eine Regierungschefin am Ende der Legislaturperiode noch auf so hohe Werte kommt“, meint Grönlund. Sie habe davon profitiert, dass sie immer klar und deutlich ihre Meinung gesagt hat, sagt er. „Ihre außenpolitischen Kommentare waren immer unmissverständlich, und sie war auch gut darin, sozialdemokratische Politik voranzutreiben.“

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Der Politologe sieht aber auch ihre Schwächen. Ihre Social-Media-Aktivitäten mit vielen privaten Bildern und Videos seien bei vielen, vor allem älteren Wählern nicht gut angekommen Auch bei der Verwaltung der öffentlichen Finanzen habe es Luft nach oben gegeben. Außerdem habe sie Führungsschwäche innerhalb der Koalition gezeigt.

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Nach jüngsten Umfragen bahnt sich am Sonntag ein spannender Dreikampf zwischen Marins Sozialdemokraten, den Konservativen und der rechtspopulistischen Partei Die Finnen an. Alle drei Parteien kommen danach auf rund 20 Prozent der Stimmen – mit einem hauchdünnen Vorsprung für die Konservativen.

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Ein Problem für Marin sind die schlechten Zustimmungswerte für ihre Koalitionspartner. Die bisherige Koalition aus Sozialdemokraten, der Zentrumspartei, den Grünen, der Linkspartei und der Partei der schwedischsprachigen Minderheit wird selbst bei einem Sieg von Marin nicht weitermachen können.

Denn die Zentrumspartei hat bereits angekündigt, dass sie für eine neue, von Marin geführte Regierung nicht zur Verfügung steht. „Die nächste Regierung wird anders aussehen“, ist sich Politologe Grönlund sicher.

Eine große Koalition aus Marins Sozialdemokraten und der konservativen Partei ist deshalb ebenso denkbar wie ein Bündnis aus Konservativen und Rechtspopulisten. „Für die nächste Regierungskoalition werden zwei der drei stärksten Parteien benötigt werden“, glaubt Grönlund.

Noch hofft Marin, dass die Wähler ihr nach Meinung der meisten Beobachter gutes Krisenmanagement honorieren werden. Tatsächlich musste sich die bei Amtsantritt 2019 jüngste Regierungschefin der Welt fast unmittelbar nach den Wahlen mit der Bekämpfung der Coronapandemie befassen.

Seit vergangenem Jahr beherrschte dann der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die Tagesordnung. Finnland teilt sich eine über 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Die geografische Nähe zum Aggressor führte zu einer vollständigen Kehrtwende der über Jahrzehnte verfolgten Neutralitätspolitik des Landes. Unter der Führung von Sanna Marin leitete das Land den Nato-Beitrittsprozess ein.

Vor einem guten Jahr noch undenkbar ist die finnische Mitgliedschaft im Militärbündnis nach der Zustimmung des letzten Nato-Landes, der Türkei, eine Tatsache. Nun steht nur noch die feierliche Unterzeichnung des Beitrittsgesuches aus. Finnland wird bereits im kommenden Monat Mitglied des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses werden.

Marin hat ihre Landsleute erfolgreich auf die Aufgabe der Bündnisfreiheit eingeschworen – immerhin sind mehr als 80 Prozent der Finninnen und Finnen für die Nato-Mitgliedschaft. Doch die Beitrittsurkunde unterzeichnet möglicherweise ihr Nachfolger.

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Sicherheitspolitik spielte im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle

Auch wenn es verwundert, spielte die Sicherheitspolitik und insbesondere die angestrebte Nato-Mitgliedschaft im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Der Grund: Alle Parteien sind sich in dieser Frage einig. Streitthemen sind dagegen neben der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik vor allem die Staatsverschuldung, die mit 144 Milliarden Euro für das Land ungewöhnlich hoch liegt.

Während die Konservativen unter ihrem Vorsitzenden Petteri Orpo mit Steuererleichterungen bei gleichzeitigen Ausgabenkürzungen die Verschuldung der öffentlichen Hand wieder ins Lot bringen wollen, stehen Marins Sozialdemokraten für Steuererhöhungen für Besserverdienende.

Wahlkampf in Finnland

Von links: Riikka Purra, Vorsitzende der der rechtspopulistischen Partei Die Finnen, Petteri Orpo, Petteri Orpo, Chef der Konservativen und Sanna Marin von den Sozialdemokraten.

(Foto: IMAGO/Lehtkuva)

„Die Wirtschafts- und Steuerpolitik von Marin unterscheidet sich deutlich von dem Programm der Konservativen“, sagt Politologe Grönlund. Eine Koalition der beiden Parteien will er dennoch nicht ausschließen. „Nichts ist unmöglich in Finnland, wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass im Prinzip alle mit allen können.“

Die Rechtspopulisten trumpfen auf

Die große Unbekannte ist Riikka Purra, die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Die Finnen. Sie hat die Regierungschefin in den vergangenen Wochen scharf attackiert, nachdem Marin die Partei als „offen rassistisch“ bezeichnet hatte.

Purra hatte sich zuvor gegen eine liberalere Einwanderungspolitik ausgesprochen. Damit stehen sie und ihre Partei allein, denn alle anderen Parteien befürworten Visa-Erleichterungen wegen großer demografischer Probleme und der damit verbundenen Engpässe auf dem Arbeitsmarkt.

Konnte Sanna Marin zunächst vor allem bei jüngeren Wählern durch ihre zahlreichen Social-Media-Aktivitäten punkten, ist Purra jetzt in ihre Fußstapfen getreten. Die 45-Jährige postet nahezu täglich ihre Botschaften auf Tiktok. Mit Videos und einer einfachen Sprache hat sie offenbar den Zeitgeist vor allem bei jungen Wählern getroffen.

Ob das am Ende reicht, um Marins Nachfolgerin zu werden, ist nicht sicher. Auf jeden Fall könnte die Partei Die Finnen in einer bürgerlichen Koalition eine führende Rolle spielen. Für Europa wäre das eine Herausforderung, spricht sie sich doch gegen strengere Umweltauflagen aus und will die Einwanderung in die EU eindämmen.

Was Marin im Falle einer Niederlage macht? Politologe Grönlund schüttelt den Kopf. „Unabhängig davon, ob es für die Regierungsbildung reicht oder nicht, sollte ihre Position innerhalb der Partei gestärkt werden.“ Aber ob sie bleibt oder etwa einen Posten auf internationaler Bühne anstrebt, das könne er nicht sagen. „Die jüngere Generation ist ja schneller dabei, einen Job zu verlassen, deshalb kann ich keine Antwort geben.“ In einem ist er sich aber sicher: „Es wird lange und komplizierte Regierungsbildungsverhandlungen geben.“

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