Die wirtschaftliche Entwicklung seiner Geburtsstadt Frankfurt liegt Ulrich Caspar besonders am Herzen. Vor rund 40 Jahren gründete er hier ein in der Immobilienbranche tätiges Unternehmen.
Für die CDU saß er viele Jahre im hessischen Landtag, seit 2019 ist er Präsident der örtlichen Industrie- und Handelskammer. Viele Jahre schien es am Main aufwärtszugehen: Die lange als gleichzeitig kalt und schmuddelig verrufene Großstadt belegte regelmäßig Spitzenplätze in internationalen Ranglisten zur Standortqualität.
Zuletzt aber mehrten sich die Anzeichen für ein Ende des Hypes. So sind die Immobilienpreise noch stärker als in anderen Großstädten eingebrochen und der Leerstand von Büroflächen hat sich erhöht. Auch im Verkehr reduziert die Frankfurt seine Geschwindigkeit.
QUADDEL: Herr Caspar, die IHK teilt sich ihr Gebäude mit der Frankfurter Börse. In einigen Straßen in unmittelbarer Nachbarschaft hat die Stadt gerade Tempo 20 eingeführt. Was verändert sich dadurch?
Ulrich Caspar: Der Schilderwald wird größer. Dies betrifft vor allem Straßen, die sich ohnehin kaum für den Durchgangsverkehr eignen. Daher werden sich die von der Stadt gewünschten Veränderungen des Fahrverhaltens vermutlich nicht einstellen.
QUADDEL: Die Regelung soll aber noch weitere Straßen erfassen. Halten Sie das für sinnvoll?
Caspar: Der internationale Wirtschaftsstandort Frankfurt lebt von der Erreichbarkeit mit allen Verkehrsmitteln. Es erscheint mir unsicher, ob durch die von der Stadt vorangetriebenen Maßnahmen wirklich weniger Autos fahren. In jedem Fall steigt die Verweildauer – und damit die Schadstoffbelastung. Das nun eingeführte Tempolimit könnte deshalb das Gegenteil dessen erreichen, was eigentlich bezweckt ist.
QUADDEL: Welche Folgen haben die Einschränkungen für die Unternehmen in der Innenstadt?
Caspar: Der Einzelhandel in der City ist darauf angewiesen, dass Kunden und Pendler ihn bequem, sicher und kostengünstig erreichen können. Für kaufkräftige Kunden aus dem Umland ist der Pkw weiter das Verkehrsmittel der Wahl. Das hat eine gemeinsame Befragung der IHK mit der Wirtschaftsförderung ergeben. Wenn diese Kunden ausbleiben, schwächt das den Einzelhandel weiter, der ohnehin mit der digitalen Konkurrenz und der Inflation zu kämpfen hat.
QUADDEL: Wie in vielen anderen Städten hat auch an der Zeil, der Frankfurter Haupteinkaufsstraße, der Leerstand deutlich zugenommen. Müssen wir uns nicht von der Idee verabschieden, dass die City vor allem zum Einkaufen da ist?
Caspar: Die Gebäude werden nicht dauerhaft leer stehen, die Stadt der Zukunft entsteht gerade. Der Bedarf an Flächen für Büros, Arztpraxen und Wohnraum ist groß, auch kulturelle Einrichtungen könnten sich hier ansiedeln. Attraktive Einkaufsmöglichkeiten bleiben aber ein zentraler Faktor für die Attraktivität einer Innenstadt. Allerdings gibt es hier nicht nur bei der Erreichbarkeit, sondern auch bei Sauberkeit und Sicherheit Nachholbedarf. Hier sind Politik und Verwaltung gefragt.
QUADDEL: Der Bedarf an Büroflächen scheint mehr als ausreichend gedeckt zu sein. Rund zehn Prozent stehen aktuell leer, dennoch werden immer mehr Hochhäuser geplant und gebaut. Wer soll dort denn einziehen?
Caspar: Die Vermietungsquoten der Neubauten sind hoch. Und ein Markt funktioniert gut, wenn das Angebot größer ist als die Nachfrage, sodass der Mieter eine größere Auswahl bei Lage, Qualität und Preis hat. Um die bereits begonnen Projekte mache ich mir keine Sorgen. Allerdings haben sich die Bedingungen so verändert, dass kaum noch neue Vorhaben geplant werden. Neben den höheren Zinsen und Baukosten haben auch die staatlichen Eingriffe und bürokratische Vorgaben Investoren verunsichert.
QUADDEL: Dahinter steht der Wunsch nach bezahlbaren Mieten für alle.
Caspar: Der ist verständlich. Mit den verschärften Regularien erreicht man aber exakt das Gegenteil. Das Angebot geht zurück, sodass die Mieten steigen. Darunter leiden dann nicht nur die Wohnungssuchenden, sondern auch die Unternehmen, die Mitarbeiter suchen. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen.
QUADDEL: In den vergangenen Jahren schien es mit Frankfurt aufwärtszugehen wie mit kaum einer anderen deutschen Großstadt. Droht nun der Absturz?
Caspar: Nein. Die Region Frankfurt ist und bleibt einer der attraktivsten Standorte in Deutschland. Aufgrund der starken internationalen Vernetzung sind wir unabhängiger als andere Regionen von der deutschen Konjunktur und profitieren von internationalem Wachstum. Und die exzellente Verkehrsanbindung in alle Richtungen ist ein gewichtiges Argument.
QUADDEL: Es spricht also vor allem für Frankfurt, dass man schnell wieder wegkommt?
Caspar: Man kommt auch schnell hin. Die zentrale Lage ist nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Kunden und Waren ein wichtiges Argument. Und das bleibt auch so. Während der Pandemie hieß es ja mitunter, dass der Flugverkehr nie wieder das Niveau von 2019 erreichen würde. Nun gehen alle davon aus, dass es spätestens 2025 so weit ist. Mit dem Bau eines dritten Terminals ist der Standort gut darauf vorbereitet.
QUADDEL: Der Flughafen ist der größte Arbeitgeber, in der Außenwahrnehmung aber dominiert die Finanzindustrie. Und in der stehen die Zeichen seit Jahren nicht auf Wachstum.
Caspar: Banken und andere Finanzunternehmen sind ein starker Faktor. Die Zahl der Beschäftigten ist über die Jahre etwa gleichgeblieben. Etablierte Großbanken haben Stellen abgebaut, aber Wachstum und Ansiedlung anderer Banken haben das kompensiert. Der Brexit hat diesen Trend stark befördert.
QUADDEL: Frankfurt ist der Sitz der Europäischen Zentralbank und der Versicherungsaufsicht EIOPA. Die Stadt bemüht sich darum, dass sich auch die AMLA, die geplante EU-Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche, hier ansiedelt. Wie ist der Stand?
Caspar: Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Standorten. Die Nähe zu den übrigen Aufsichtsbehörden ist da ein wichtiges Argument. Und da Deutschland gemessen an seiner Wirtschaftskraft nicht eben viele europäische Institutionen beheimatet, wäre diese Wahl auch gerechtfertigt.
QUADDEL: Täuscht der Eindruck, dass Frankfurt für Behörden attraktiver ist als für dynamische Gründer? Deren Präsenz ist überschaubar.
Caspar: Eine Stadt wie Berlin hat hier lange von den sehr günstigen Mieten profitiert. In unserer Region haben sich aber auch viele Start-ups angesiedelt, die die gute Vernetzung und die Nähe zu den Geldgebern schätzen. Dass sich hier der größte Internetknotenpunkt der Welt befindet, kann für manche Geschäftsmodelle ebenfalls ein Argument sein. Frankfurt ist unter anderem auch die europäische Digitalisierungshauptstadt.
QUADDEL: Außerhalb der Stadtgrenzen dürfte das derzeit kaum jemand so sehen. Für diesen Anspruch fehlt doch einiges.
Caspar: Natürlich müssen wir weiter Hindernisse abbauen, die Wachstum und Gründergeist hemmen. Und alle Unternehmen leiden zunehmend unter einem Mangel an Arbeitskräften. Es scheiden aktuell fast doppelt so viele Menschen aus dem Berufsleben aus, wie neu beginnen. Die Lücke ließe sich durch Zuzug kompensieren, aber dafür fehlt es an Wohnraum. Die Stadt müsste dringend neue Wohngebiete ausweisen. Es besteht auch Bedarf an weiteren Industrie- und Gewerbeflächen. Die Planungen hierfür müssten sich deutlich beschleunigen.
QUADDEL: Die Rhein-Main-Region ist jetzt schon sehr dicht besiedelt. Wo soll der Platz herkommen?
Caspar: Fast ein Viertel allein schon der Kernstadt Frankfurt ist kultivierte Fläche für Landwirtschaft. Dieser Anteil könnte sinken, darüber könnte man sprechen. Klar ist für mich: Ohne einen verstärkten Diskurs über die Auswirkungen von wirtschaftspolitischen Entscheidungen wird es in Zukunft nicht gehen.