Die US-Regierung lässt keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meint. Man habe die „bedeutendsten Maßnahmen“ ergriffen, die jemals von einer Regierung weltweit in Bezug auf Sicherheit und Vertrauen bei der Künstlichen Intelligenz beschlossen wurden, sagte US-Präsident Joe Biden. Denn seit Monaten treibt Washington eine Sorge um: Die Regierung könnte die Kontrolle über die rasante Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz (KI) verlieren.
Am Montag hat Biden eine Verordnung erlassen, die tiefgreifende Vorschriften zum Umgang mit KI macht. Insgesamt acht Punkte beinhaltet der Plan. Er sieht neue Verpflichtungen für Tech-Konzerne wie Alphabet und Microsoft vor, die bei der Entwicklung von KI-Anwendungen zuletzt enteilt sind. Gleichzeitig will Biden aber auch die digitale Privatsphäre der Verbraucher stärken und sie vor Diskriminierung sowie sogenannten Deep-Fakes schützen. Auch drohende Jobverluste durch KI sollen die Behörden im Blick behalten. Mit dem Dekret will Biden aber wohl vor allem ein Zeichen setzen: Einen folgenschweren Fehler aus der Vergangenheit werde seine Regierung nicht noch einmal machen.
Vor allem die Tech-Konzerne müssen sich auf neue Vorgaben gefasst machen. Die Unternehmen werden angewiesen, Sicherheitstests bei besonders sensiblen KI-Systemen durchzuführen und die Ergebnisse der Regierung vorzulegen – und zwar bevor die Systeme auf den Markt kommen. Betroffen seien jene Anwendungen, die ein Risiko für die nationale Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die wirtschaftliche Sicherheit des Landes darstellen könnten. Zusätzlich werden verschiedene Ministerien damit beauftragt, Standards für solche Tests zu entwickeln, an denen sich die Anwendungen dann messen lassen sollen.
„Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitsplätze in Amerika“
Das US-Handelsministerium soll eine Kennzeichnung, eine Art Wasserzeichen für KI-Inhalte, entwickeln, um Bürger künftig vor Betrug und Täuschung zu schützen. Daneben soll das Justizministerium die sogenannte algorithmische Diskriminierung untersuchen. Damit ist vor allem die Benachteiligung von Minderheiten durch KI-Anwendungen gemeint.
Der US-Präsident sorgt sich aber auch um die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. „Die Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitsplätze in Amerika“, heißt es in einer Erklärung des Weißen Hauses. Sie trage sowohl das Versprechen einer höheren Produktivität als auch die Gefahr einer verstärkten Überwachung des Arbeitsplatzes und der Verdrängung von Jobs. Die Behörden sollen dazu nun Grundsätze entwickeln. Zudem sollen sie einen Bericht über die potenziellen Auswirkungen der KI auf den Arbeitsmarkt erstellen. Dazu gehöre dann auch die Frage, wie man Arbeitnehmer besser unterstützen kann, die wegen des Einsatzes von KI ihren Job verlieren.
Umgekehrt will Biden aber auch den Zuzug von KI-Talenten deutlich erleichtern. Die Anordnung fordert die Einwanderungsbehörden auf, die Visumspflicht für ausländische Entwickler zu senken, wenn diese bei amerikanischen KI-Unternehmen arbeiten möchten. Und die Regierung selbst will davon ebenfalls profitieren. Seit Montag können Arbeitnehmer mit KI-Expertise auf der bundeseigenen Internetseite „AI.gov“ neue Stellenangebote bei Behörden finden.
Die Maßnahmen jetzt haben eine besondere Symbolkraft. Denn mit dem Dekret nutzt Biden alte Notstandsbefugnisse. Sie basieren auf dem „Defence Production Act“, einem Gesetz aus der Zeit des Korea-Kriegs. Es erweitert die Befugnisse des Präsidenten, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht.
Frühzeitige Regelungen – anders als bei den sozialen Netzwerken
Der Alleingang von Biden dürfte auch an einem Fehler aus der Vergangenheit liegen. Denn aus Sicht einiger Politiker hat es der US-Kongress im vergangenen Jahrzehnt schon einmal versäumt, frühzeitig Regeln zu setzen – und zwar bei den sozialen Netzwerken. Sie machen das Fehlen von Vorgaben verantwortlich für grassierende Falschinformationen und Datenschutzskandale bei den Plattformen.
„Wir standen vor der gleichen Entscheidung, als wir mit den sozialen Medien konfrontiert wurden“, sagte der demokratische Senator Richard Blumenthal jüngst bei einer Kongressanhörung. Doch man habe es versäumt, diesen Moment zu ergreifen. „Jetzt haben wir die Pflicht, es bei der KI zu tun, bevor die Bedrohungen und Risiken real werden“, sagte er.
Biden hat über die Exekutivmaßnahmen nur begrenzten Einfluss. Vorschriften zu konkreten Standards, etwa zum Datenschutz, muss der US-Kongress beschließen. Deshalb nutzte der Präsident sein Dekret auch für einen Aufruf: „Der Kongress muss noch handeln“, sagte der Präsident am Montag.
Tech-Konzerne wollen Potenzial von KI „für das Gute“ maximieren
Dennoch scheint die Botschaft bei den Tech-Konzernen anzukommen. Sie setzen auf Kooperation statt Konfrontation. Und so loben viele die neuen Anweisungen der US-Regierung. „Die heutige Verordnung ist ein weiterer entscheidender Schritt nach vorn bei der Steuerung der KI-Technologie“, kommentierte etwa Brad Smith, Vize-Chef von Microsoft, in einem Beitrag im sozialen Netzwerk „X“, vormals Twitter.
Und auch der Alphabet-Manager Kent Walker erklärte: „Wir prüfen die heutige Executive Order und sind zuversichtlich, dass unsere langjährigen Praktiken der KI-Verantwortung mit den Grundsätzen der Verordnung übereinstimmen werden.“ Alphabet werde weiterhin kooperieren, um das Potenzial von KI „für das Gute“ zu maximieren, sagte Walker weiter.
In den vergangenen Monaten hatte Biden die großen Tech-Konzerne immer wieder zu Gesprächen eingeladen. Im Mai etwa versammelten sich die Chefs von Google, Microsoft und OpenAI im Weißen Haus, gemeinsam mit Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris sowie hochrangigen Regierungsmitgliedern. „Ich interessiere mich sehr für KI und habe wichtige Experten befragt, wie man die Macht der Künstlichen Intelligenz für das Gute nutzen und gleichzeitig die Menschen vor den tiefgreifenden Risiken schützen kann“, sagte Biden jüngst in San Francisco.
Bei einer Neuauflage der Runde im Juli saßen sodann auch die Chefs von Amazon und Meta mit am Tisch. Das Ergebnis der Gespräche war eine freiwillige Vereinbarung. Zu den Selbstverpflichtungen zählten etwa Risikoprüfungen und Kennzeichnungen von KI-Inhalten.
Joe Biden hofft, mit seinen Vorgaben auch international zum Vorbild zu werden. „Die Herausforderungen und Chancen der KI sind global“, sagte er. Und so hat die US-Regierung mit den angekündigten Maßnahmen gleich auch für wichtigen Gesprächsstoff gesorgt. Denn Vizepräsidentin Harris wird in dieser Woche auf dem britischen Gipfel für KI-Sicherheit sprechen, zu dem Premierminister Rishi Sunak eingeladen hat.