Hat Deutschland durch die Lockerung seiner Klimaregeln „Fahrverbote“ vermieden?

In einem autobegeisterten Land wie Deutschland schien es ein unmögliches Szenario zu sein: Autofahrer müssten am Wochenende ihr Auto stehen lassen und stattdessen auf das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr zurückgreifen.

Doch genau das hat Verkehrsminister Volker Wissing am Freitag in Aussicht gestellt. In einem Brief an die Spitzen der regierenden Sozialdemokraten (SDP), der Grünen und der Freien Demokraten (FDP) erhöhte der FDP-Politiker den Druck auf die Regierung, die Klimaschutzregeln zu lockern.

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Wenn sie es nicht bald täten, seien drastische Maßnahmen wie ein Fahrverbot an Samstagen und Sonntagen nötig, sagte er.

Innerhalb weniger Tage – und nachdem er die Medien in Aufregung versetzt hatte – bekam Wissing, was er wollte. Am Montagnachmittag gab die Koalitionsregierung bekannt, dass sie sich auf ihre Klimaschutzreformen geeinigt habe und in den kommenden Wochen über das Gesetz abstimmen werde.

Sobald die neuen Regeln in Kraft treten, stehen Minister wie Wissing weit weniger unter dem Druck, die jährlichen Klimaziele zu erreichen, und können sich stattdessen darauf verlassen, dass andere Sektoren ihre Emissionen reduzieren.

Wie werden die Regeln gelockert?

Nach dem aktuellen Klimaschutzgesetz werden jährlich schädliche Emissionen wie CO2 und Methangas in energieintensiven Sektoren gemessen. Zu den überwachten Sektoren gehören Energie, Wohnen, Verkehr, Industrie, Abfallentsorgung und Landwirtschaft.

Diese Sektoren erhalten alle ein jährliches Emissionsbudget mit dem Ziel, die Emissionen Deutschlands bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.

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Gelingt es einem bestimmten Sektor, beispielsweise dem Verkehr, in einem bestimmten Jahr nicht, seine Emissionen zu reduzieren, sind die Minister gesetzlich verpflichtet, ein sogenanntes „A“ einzuführen Sofortprogramm – ein Paket von Sofortmaßnahmen zur schnellen Reduzierung der Emissionen – im folgenden Jahr. Dafür haben sie ab der Veröffentlichung der Emissionsdaten drei Monate Zeit.

Nach dem neuen Gesetz wird die Regierung die Emissionen verschiedener Sektoren weiterhin verfolgen, die Hürde für die Einführung von Notfallmaßnahmen wird jedoch viel höher liegen. Denn die Regierung wird das Gesamtbild betrachten und es verschiedenen Sektoren ermöglichen, ihre Emissionseinsparungen zu „bündeln“, indem sie beispielsweise auf geringere Emissionen im Wohnungssektor setzt, um den Anstieg in der Landwirtschaft auszugleichen.

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Gleichzeitig werden Sektoren wie der Verkehr erst dann mit Konsequenzen rechnen, wenn sie die Klimaziele zwei Jahre in Folge nicht erreicht haben, und dieses Maßnahmenpaket wird von der Regierung als Ganzes und nicht von einzelnen Ministerien beschlossen.

Warum passiert das jetzt?

Nur wenige Stunden bevor die Ampelkoalition ihre Zustimmung zur Klimareform verkündete, veröffentlichte der Sachverständigenrat für Klimaschutzfragen (ERK) am Montag offizielle Daten zu den Emissionen verschiedener Sektoren in Deutschland im Jahr 2023.

Wie erwartet hat der Verkehrssektor die in seinem Budget vorgesehene Menge an Emissionen drastisch überschritten und statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen 146 Millionen Tonnen CO2 und andere schädliche Emissionen abgepumpt.

Abgesehen vom Wohnungsbau, der eine Million Tonnen mehr als die erlaubten 101 Millionen Tonnen an Emissionen verursachte, war der Verkehr der einzige Sektor, der seine Klimaziele im Jahr 2023 verfehlte, und das bereits zum dritten Mal in Folge.

Auf der Autobahn zwischen Hamburg und Flensburg kommt es zu Staus. Foto: picture Alliance/dpa | Axel Heimken

Insgesamt hat Deutschland seine Emissionen im vergangenen Jahr um 10 Prozent gesenkt, wobei die meisten Sektoren ihre jeweiligen Budgets problemlos einhielten. Nach Angaben der ERK wurden im Jahr 2023 674 Millionen Tonnen klimaschädliche Emissionen verursacht, im Jahr 2022 waren es noch 750 Millionen Tonnen.

Da es Wissing jedoch ein weiteres Jahr lang nicht gelungen ist, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren, ist er gesetzlich dazu verpflichtet, seine Ziele festzulegen Sofortprogramm innerhalb von drei Monaten.

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Das hat die Situation für den FDP-Politiker deutlich dringlicher gemacht.

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Sollten die Klimaschutzreformen aber noch vor Juli in Kraft treten, bleiben dem Minister drastische Maßnahmen zur Emissionsreduzierung in seinem Sektor erspart.

Wissing hat immer wieder Klimaschutzmaßnahmen wie die Einführung eines Tempolimits auf der Autobahn blockiert und gilt wie ein Großteil seiner Partei als Vorkämpfer der Autobesitzer und Befürworter des Autobahnausbaus.

Wie werden sich die deutschen Klimaschutzreformen auf mich auswirken?

Während deutsche Boulevardzeitungen wie Bild mit Erleichterung reagierten, dass die Regierung ein Fahrverbot abgewendet hat, sind sich die meisten seriösen Kommentatoren einig, dass strenge Beschränkungen für Autofahrer nie auf der Tagesordnung standen.

Während der Ölkrise in den 1970er Jahren führte Deutschland kurzzeitig ein Sonntagsfahrverbot ein, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich dies in der heutigen Zeit jemals wiederholen wird.

Eine viel wahrscheinlichere Erklärung ist, dass Wissing die Drohung als Druckmittel nutzen wollte, um Klimanotmaßnahmen zu vermeiden, und gleichzeitig die aktuellen Klimaschutzgesetze als drakonisch und autoritär hinstellte.

Allerdings scheint es so, dass der Verkehrsminister darauf verzichtet hat, verbindliche Klimamaßnahmen zu verhängen, die ein kurz- oder langfristiges „Tempolimit“ auf der Autobahn oder andere Regelungen für Autofahrer hätten umfassen können.

Stattdessen scheint es, als ob im Land der Autoliebhaber alles wie gewohnt weitergehen wird und es keinen klaren Weg zur Reduzierung der Emissionen im Verkehrssektor gibt.

Für umweltfreundliche Hausbesitzer gibt es jedoch gute Nachrichten: Die Regierung hat die Reform des Klimaschutzgesetzes mit einem neuen Gesetz zur Förderung der Solarenergie gekoppelt.

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Damit dürfte es bald einfacher und kostengünstiger werden, Solaranlagen auf Balkonen und Dächern sowie auf Feldern und landwirtschaftlichen Flächen zu errichten.

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Für Wohnungseigentümer, die einer Wohnungseigentümergemeinschaft angeschlossen sind, soll es zudem einfacher werden, die aus Solaranlagen erzeugte Energie in Gebäuden mit mehreren Wohnungen zu nutzen.

Was sagen die Leute?

Die Reaktionen auf die jüngste Klimareform waren bisher gemischt, Regierungsmitglieder begrüßten sie als notwendige Modernisierung des Gesetzes.

Der Grünen-Politiker Robert Habeck, der als Wirtschaftsminister für Energie- und Klimapolitik zuständig ist, sagte, die Neuregelung mache das Klimaschutzgesetz „zukunftsorientierter, flexibler und damit effizienter“.

Gleichzeitig reagierten Klimaschutzverbände mit Bestürzung auf die Aufweichung der Emissionsziele: Der Umweltbund (BUND) bezeichnete das Gesetz als „Schlag gegen die Klimaschutzarchitektur in Deutschland“.

Transport Minister Volker Wissing

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) spricht bei einer Kabinettssitzung in Berlin mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Foto: picture Alliance/dpa | Michael Kappeler

„Statt Engagement und Verantwortung herrscht jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit“, sagte BUND-Chef Olaf Bandt in einer Erklärung. „Entscheidende Zähne wurden aus dem Gesetz gezogen. Der Klimaschutz soll ungestraft in den Hintergrund gedrängt werden.“

„Die Ampelregierung untermauert damit ihre unambitionierte Klimapolitik und verschiebt notwendigen Klimaschutz auf die nächste Legislaturperiode.“

Im vergangenen Jahr gewannen BUND und Deutsche Umwelthilfe einen Prozess vor dem Obersten Verwaltungsgericht Berlin-Brandenberg. Das Gericht forderte die Regierung auf, unverzüglich Maßnahmen zur Reduzierung der Klimaemissionen im Verkehrs- und Wohnungssektor zu ergreifen.

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Die Umweltschutzverbände empfahlen eine Reihe von Maßnahmen, etwa die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, das Ende des Autobahnausbaus und die rasche Einführung eines Tempolimits auf Teilen der Autobahn.

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Ihre Ansichten wurden von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geteilt, die viele Beschäftigte im Transportsektor in Deutschland vertritt.

In einer am Mittwoch im Vorfeld der Verkehrsministerkonferenz veröffentlichten Stellungnahme forderte die Gewerkschaft ein Ende der Subventionen für vermögende Autobesitzer, mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und eine Zukunftsgarantie für das 49-Euro-Deutschlandticket.

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