Gericht hebt Urteil wegen Sexualverbrechen auf

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Der Fall Harvey Weinstein erschütterte Ende 2017 Hollywood und löste die weltweite #MeToo-Bewegung aus. Der frühere Filmproduzent war wegen Sexualdelikten in New York zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Der ehemalige Filmproduzent Harvey Weinstein wurde von zwei Gerichten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Spencer Platt / Getty

Wer #MeToo denkt – die internationale Bewegung gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch –, denkt seinen Namen meistens mit: Harvey Weinstein. Wegen Sexualdelikten war er 2020 in einem Prozess in Manhattan und 2023 in einem Prozess in Los Angeles zu insgesamt 39 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Urteile gehören zu den wichtigsten Erfolgen im Kampf gegen sexuelle Belästigung weltweit.

Nun hat das New Yorker Berufungsgericht Weinsteins Verurteilung wegen Sexualverbrechen aus dem Jahr 2020 aufgehoben. In einem knappen Entscheid von 4:3 entschieden die Richter des höchsten New Yorker Gerichts, Weinsteins Berufung stattzugeben. Grund dafür ist ein Verfahrensfehler: Der damalige Richter habe Zeugenaussagen zugelassen, die nicht hätten vorgebracht werden dürfen.

Die «Molineux-Zeugen»

Zum Stolperstein im Weinstein-Prozess wurden sogenannte «Molineux-Zeugen» oder «Zeugen für frühere schlechte Taten»; benannt nach dem im Jahr 1900 wegen Giftmords angeklagten Chemiker Roland B. Molineux, dessen Urteil ein Jahr nach dem Prozess wieder aufgehoben wurde. Die Annullierung des Urteils wurde damit begründet, dass die Geschworenen nur aufgrund des zur Anklage gebrachten Verbrechens über die Schuld des Angeklagten entscheiden sollen. Weitere, nicht von einem Gericht bestätigte Taten dürfen sie dabei nicht beeinflussen. Die Staatsanwaltschaft aber hatte den Geschworenen damals Beweise für einen weiteren – nicht zur Anklage gebrachten – Giftmord vorgelegt.

Das Urteil aus dem Jahr 1900 gilt bis heute – mit Ausnahmen: Ein Richter kann «Molineux-Zeugen» zulassen, wenn er damit aufzeigen will, dass die Taten einem bestimmten Schema folgen und keine Einzelfälle sind. Genau davon wollte die Staatsanwaltschaft die Geschworenen im Falle Weinstein überzeugen: dass der Hollywood-Produzent systematisch seine Bekanntheit und seinen Einfluss genutzt habe, um junge Frauen sexuell zu missbrauchen und die Tat später zu vertuschen.

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Dafür wurden vier Frauen in den Zeugenstand gerufen, die aussagten, von Weinstein vergewaltigt worden zu sein. Diese Taten waren allerdings nicht eingeklagt worden, sondern «nur» Teil der jeweiligen Zeugenaussage. Nötig schien das juristische Manöver, weil die Fälle der beiden Hauptklägerinnen vor Gericht von Anfang an auf wackligen Beinen standen.

«Lots of love» – «viel Liebe»

Der damalige Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Cyrus R. Vance junior, erhob 2018 in zwei Fällen Anklage gegen Weinstein. Miriam Haley erklärte vor Gericht, Weinstein habe sie 2006 zum Oralsex gezwungen. Jessica Mann sagte, er habe sie 2013 vergewaltigt. Beide Frauen wurden von Weinstein zu sexuellen Handlungen gezwungen, gingen diese bei anderen Gelegenheiten aber auch freiwillig ein.

Haley hatte zwei Wochen nach dem Übergriff auf sie im Jahr 2006 einvernehmlichen Sex mit Weinstein und unterzeichnete später eine E-Mail an ihn mit «Lots of love» – «viel Liebe». Mann gab zu, eine dreijährige Quasi-Beziehung zu Weinstein gehabt zu haben, in der einvernehmlicher und nicht einvernehmlicher Sex sich abwechselten.

Dass sexuelle Übergriffe selten durch eine komplett fremde Person geschehen, sondern viel öfter in ein familiäres oder berufliches Umfeld oder eine Beziehung eingebettet sind, ist bekannt. Dass es in diesen Fällen für Betroffene schwieriger ist, sich dem Täter zu entziehen und ihn anzuzeigen, ebenfalls. Vor Gericht erklärte Staatsanwältin Meghan Hast damals der Jury, dass Opfer von sexuellen Übergriffen oft versuchen würden, «die Situation fast zu normalisieren», um sich «nicht so ekelhaft» zu fühlen. Anthony Cannatro, einer der drei Richter, die sich gegen die Aufhebung des Urteils ausgesprochen hatten, sagte am Donnerstag, die nun zum Problem gewordenen Zeugenaussagen würden zeigen, dass «komplexe psychologische und soziologische Dynamiken im Spiel waren». Sie zuzulassen, sei darum seiner Meinung nach richtig gewesen.

Im Falle eines derart drastischen Machtgefälles wie zwischen den beiden Klägerinnen und Weinstein war sich zu entziehen oder gar zu wehren mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem Karriereende der Betroffenen. Das zeigten andere Geschichten von Weinstein-Opfern, die etwa in einem Artikel der «New York Times» zu Wort kamen.

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Die Enthüllung von 2017

2017 enthüllten zwei Journalistinnen der Zeitung, worüber sich im Filmgeschäft viele Jahre niemand zu sprechen getraute: Einer der führenden Produzenten Hollywoods hatte seine Macht wiederholt ausgenützt, um Frauen sexuell zu belästigen und sogar zu vergewaltigen. Dank seiner Position als Gründer und langjähriger Geschäftsführer der Produktionsfirmen Miramax und Weinstein Company gelang es ihm lange, seine Opfer zum Schweigen zu bringen und die Konsequenzen für sein Handeln zu umgehen.

Der Artikel der «New York Times» und ein kurz darauf im «New Yorker» publiziertes Stück führten dazu, dass fast 100 Frauen sich mit ähnlichen Berichten über Weinstein zu Wort meldeten.

Versuchte Wiedergutmachung

Obwohl in vielen Fällen psychologisch erklärbar ist, warum Opfer sich nach einer Tat nicht augenblicklich gegen ihre Täter wenden oder sich zumindest zurückziehen, ist das Weiterführen einer Beziehung jedweder Art mit dem Täter juristisch gesehen oft der Hauptgrund für das Scheitern einer Anklage.

Dass der damalige Bezirksstaatsanwalt dennoch mit Mann und Haley zur Anklage schritt, hat mit einem früheren Versagen derselben Staatsanwaltschaft zu tun. Bereits 2015 beschuldigte das Model Ambra Battilana Gutierrez Weinstein, sie an der Brust betatscht und seine Hand unter ihren Rock geschoben zu haben. Obwohl Battilana damals ein heimlich aufgenommenes Tondokument vorweisen konnte, auf dem zu hören ist, wie Weinstein sich bei ihr für seine Taten entschuldigt und ihr eine finanzielle Entschädigung dafür anbietet, entschied die Staatsanwaltschaft, den Fall nicht weiter zu verfolgen.

Drei Jahre später wollte man es besser machen. Angesichts der aufgehobenen Verurteilung sagte Gutierrez gegenüber der amerikanischen Presse nun: «Wenn die Staatsanwaltschaft meinen Fall 2015 ernst genommen hätte, wären wir jetzt nicht hier. Dies ist ein anhaltendes Versagen des Justizsystems und der Gerichte darin, Opfer von sexuellen Übergriffen ernst zu nehmen.»

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Warum die Urteilsaufhebung schwerwiegend ist

Bereits als im Februar 2020 die Beratung der Geschworenen begann, war klar, dass die zwölfköpfige Jury eine Entscheidung treffen würde, die wegweisend für die künftige Strafverfolgung von Sexualverbrechen sein dürfte. Das damalige Urteil wurde als Schritt dahingehend gewertet, dass die Kluft zwischen dem Alltag der Betroffenen und dem Strafrechtssystem, das vielen psychologischen Faktoren nicht Rechnung zu tragen vermag, sich zu schliessen beginnt.

Dass das Urteil nun aufgehoben wurde, mutet an wie ein Schritt zurück. Schauspielerin Katherine Kendall, ebenfalls eine der Anklägerinnen Weinsteins, sagte: «Ich fühle mich im Moment vom Justizsystem völlig im Stich gelassen. Ich bin fassungslos.» Madeline Sigas, eine der drei Richterinnen, die sich gegen die Aufhebung des Urteils ausgesprochen hatten, sagte, sie beobachte «einen beunruhigenden Trend zur Aufhebung von Schuldsprüchen in Fällen von sexueller Gewalt».

Ein freier Mann ist der 72-jährige Weinstein dennoch nicht. Gegenüber der «New York Times» erklärte einer von Weinsteins Sprechern, der Gefangene werde nun in ein Gefängnis in Kalifornien gebracht. In Los Angeles war Weinstein im Jahr 2023 ebenfalls wegen Sexualstraftaten zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Er wird seine Strafe für die dortigen Verurteilungen fortsetzen. Allerdings werde er am 20. Mai auch gegen das Urteil in Kalifornien Berufung einlegen, sagt eine seiner Anwältinnen am Donnerstag. Denn der New Yorker Prozess habe auch jenen in Los Angeles beeinflusst.

Ob der Prozess in Manhattan erneut geführt wird, entscheidet Bezirksstaatsanwalt Alvin L. Bragg. Dieser befindet sich gerade mitten im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump.

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