Erster und Zweiter Weltkrieg: Land of Memory macht die Schrecken erlebbar

Lebensgroße Soldaten kauern im Gestrüpp. Zielen auf Spaziergänger, liegen in Erdlöchern oder tragen einen verletzten Kameraden. Besucher, die in den Wäldern am Schumannseck in Luxemburg unterwegs sind, könnten hier und da einen ordentlichen Schreck bekommen. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass es sich um Foto-Installationen in Originalgröße handelt. Insgesamt 65 davon säumen einen rund 2,8 Kilometer langen Gedenkpfad nahe Wiltz. Die realistische Darstellung ist beabsichtigt. „Wir wollen hier das Leid des Krieges nachvollziehbar machen“, sagt Frank Rockenbrod, der Initiator und Leiter des Projekts.

Auch der Ort ist nicht zufällig gewählt: Im Schumannseck fanden besonders blutige und lange Gefechte der Ardennenoffensive des Zweiten Weltkriegs statt. Vom 27. Dezember 1944 bis zum 21. Januar 1945 starben hier mehr als 4000 meist blutjunge amerikanische und deutsche Soldaten, die sich, teils miserabel ausgerüstet, über Wochen in Schützenlöchern (Foxholes) einen Stellungskrieg lieferten. Und das im Winter bei Minustemperaturen.

Vieles davon sieht man auch heute noch: die Löcher, in denen sich die Soldaten versteckten, Granattrichter, Bombenkrater. Die Pappfiguren wurden nach Originalfotografien aus der Zeit der Schlacht gefertigt. Große Erklärtafeln gibt es nicht, stattdessen diskrete QR-Codes auf Holzpfählen, die man mit dem Handy abrufen kann.

Quelle: Infografik WELT

Dahinter verbirgt sich allerdings ein ungeheurer Schatz an Dokumenten und Audioaufnahmen. Echten wohlgemerkt. Mit mehr als 500 Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und der Ardennenoffensive hat Rockenbrod seit seinem 16. Lebensjahr gesprochen, ist dafür kreuz und quer durch die Welt gefahren. Heute ist er 67 Jahre alt und hat noch immer viel zu tun. „Von den Zeitzeugen leben ja nicht mehr viele, wir müssen das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg für die Jugend erhalten.“

Lesen Sie auch

Éva Fahidi, 97, zu Besuch in Berlin

Hierfür wurden die Informationen mit Bedacht aufbereitet: „Wir wollten keine langen Texte, sondern eher visuell und akustisch arbeiten. Und es muss authentisch sein, um die jungen Menschen auch emotional zu erreichen.“ Dabei geht es ihm und seinen Mitstreitern vom Nationalen Museum für Militärgeschichte (Musée Nationale d’Histoire Militaire) im luxemburgischen Diekirch weniger um die Schuldfrage, sondern darum, mahnend an das Elend des Krieges zu erinnern. Und zu zeigen, wie wichtig ein dauerhafter Frieden ist.

Lesen Sie auch  Arnold Schwarzenegger wurde ein Herzschrittmacher eingesetzt

Das Land der Erinnerungen als Reiseziel

Das Kriegsleid in den Vordergrund stellen – mit diesem Ansatz steht Rockenbrod nicht allein da. Er ist typisch für die geschichtsträchtigen Orte, die sich unter dem Namen Land of Memory zusammengeschlossen haben – das Land der Erinnerungen als Reiseziel für den Gedenktourismus.

Das mit EU-Mitteln geförderte Projekt umfasst mehr als 100 historische Stätten des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Belgien, Frankreich, Luxemburg und Deutschland. Ob am Schumannseck, in den Schützengräben von Verdun oder einer der vielen anderen Stätten: Die Leiden des Krieges sollen nicht vergessen werden – und für die heutigen Generationen, die im Frieden aufwuchsen, (be)greifbar gemacht werden.

Frankreich: Der Soldatenfriedhof und das Beinhaus von Douaumont erinnern an die Gefallenen der Schlacht um Verdun im Ersten Weltkrieg

Der Soldatenfriedhof und das Beinhaus von Douaumont erinnern an die Gefallenen der Schlacht um Verdun im Ersten Weltkrieg

Quelle: pa/Daniel Kalker

Wie wichtig das ist, zeigt sich auch im französischen Verdun. Im Ersten Weltkrieg starben hier bei einer gut zehnmonatigen Schlacht mehr als 300.000 Soldaten, rund 400.000 wurden verwundet, von den Traumatisierten nicht zu reden. Logisch, dass es keine Zeitzeugen mehr gibt. Umso bedeutsamer sind die Erinnerungsorte wie das Beinhaus von Douaumont, wo Tausende Gefallene ruhen, und die unendlichen Gräberfelder davor, die die unglaubliche Zahl optisch erfassbar machen. Erschütternd auch der Blick auf die Grabkreuze: Die meisten, die hier starben, egal welcher Nation, waren gerade mal volljährig.

Lesen Sie auch

(1545840) 1.Wk., Kämpfe um das Dorf Haumont, US-Spähtrupp / Foto 1918 Geschichte / Erster Weltkrieg / Frankreich. - Kämpfe um das Dorf Haumont-près-Samogneux nördlich von Verdun (Dép. Meuse): Die Kompagnie E des 168. Infanterie- Regiments wartet in einem Schützengraben auf den Einsatz als Teil eines Spähtrupps während durch Artilleriegeschuß versucht wird, die deutschen Truppen zum Rückzug aus Haumont zu zwingen. - Foto, 16. September 1918. E: WWI, France, battle for Haumont / photo History / World War I / France. - Battle for the village of Haumont-près -Samogneux north of Verdun (Dép. Meuse): company E of the 168th infantry regiment waits in a drench for their deployment as a part of a reconnaissance team, while artillery fire aims to force the German troops to retreat. - F: WI, France, battle for Haumont / photo History / World War I / France. - Battle for the village Haumont-près- Samogneux, north of Verdun (Dép. Meuse): the E company of the 168th infantry regiments waits in a drench for deployment as part of a reconnaissance team, while artillery fire aims to force German troops to retreat. - Photo.

Schlachten um Verdun 1918

Obwohl Verdun heute eine charmante Stadt ist, die auch ohne Gedenktourismus sehenswert wäre, ist der Erste Weltkrieg allgegenwärtig. Am Denkmal für die Gefallenen, das die Stadt überragt. Im Fort Douaumont, das heftig umkämpft war. In der Zitadelle von Verdun, in die Besucher mit einer kleinen Bahn einfahren und wo sie per Video-Brille den Alltag der Soldaten erleben können. In den Wäldern und Wiesen, die Verdun umgeben, sind die Schützengräben und Granattrichter bis heute landschaftsprägend – eine schräge Kombination aus Idylle und bitterem Nachgeschmack, in dem Wissen, dass der Boden bis heute mit alter Munition verseucht ist.

Reste eines Schützengrabens in der Nähe des Forts Douaumont

Reste eines Schützengrabens in der Nähe des Forts Douaumont

Quelle: picture alliance/Ulrich Baumgarten

Für den historischen Überblick ist das Museum im Mémorial de Verdun unbedingt sehenswert. Es wurde in den 1960er-Jahren gegründet, um explizit an den Ersten Weltkrieg zu erinnern, der unter den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs aus dem Bewusstsein der Menschen zu verschwinden drohte. Die Präsentation im Inneren ist, man kann es nicht anders sagen, ergreifend: In den multimedialen Installationen sitzt der Besucher geradezu in der ersten Reihe, direkt an der Front, umgeben von Schlamm, Geschrei und Gewehrsalven, und ahnt, wie schrecklich das Leben in den Schützengräben gewesen sein muss – geprägt von Tod, Kälte, Hunger, Durst und Angst.

Lesen Sie auch  Was Ruben Amorim bereits über seine Zukunft im Zusammenhang mit den Verbindungen zum Liverpool-Trainer gesagt hat

Besucher tauchen in den Zweiten Weltkrieg ein

Wie sehr sich die Sicht auf die Weltkriege und ihre Präsentation verändert haben, zeigt sich ebenso rund 100 Kilometer weiter nördlich im belgischen Bastogne, einem weiteren Ort des Land of Memory und Schauplatz der Ardennenoffensive 1944/45. Im dortigen Kriegsmuseum (Bastogne War Museum) tauchen die Besucher in den Zweiten Weltkrieg ein, mit multisensorischen Shows, Hunderten Originalobjekten und einem Rundgang, der die Geschichte aus der Perspektive von vier Personen erzählt.

Das Bastogne War Museum in Belgien will einen emotionalen Zugang zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs schaffen

Das Bastogne War Museum in Belgien will einen emotionalen Zugang zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs schaffen

Quelle: picture Alliance/imageBROKER/J. Der Meister

Auch hier arbeitet man mit subtilen Effekten. So ist es im Raum zur Ardennenschlacht um zwei bis drei Grad kälter als im Rest des Museums, damit sich Besucher leichter in die winterliche Szenerie hineinversetzen können. „Bei uns geht es um die Menschen und das Elend, das der Krieg verursacht“ unterstreicht Mathieu Billa, Direktor des Museums.

Lesen Sie auch

Polen: Das „Tor des Todes“ in Birkenau, durch das die Züge bis zur „Judenrampe“ rollten

Auch an diesem belgischen Gedenkort steht nicht die Schuldfrage im Vordergrund, sondern der emotionale Zugang zu den Schrecken des Krieges. Neben der Ausstellung organisiert das Museum Veranstaltungen, dazu kommt das Areal Bois Jacques, ein kleines Waldstück nahe dem Museum, in dem viele Schützenlöcher erhalten sind und wo die Besucher sich per App direkt in die Schlacht hineinversetzen können. Mit dem Erfolg des Museums ist Billa zufrieden: Seit der Eröffnung 2014 haben über eine Million Besucher die Ausstellung besucht, davon mehr als die Hälfte aus dem Ausland.

Lesen Sie auch  Auf dem Weg in die Zukunft: Die Produktion von Elektrotransportern beginnt in Ellesmere Port | Automobilindustrie

Nur eines wünscht er sich noch in größerer Zahl: Zeitzeugen. Denn es fällt ihm zunehmend schwer, sie zu finden. „Fragen Sie ruhig zu Hause in Deutschland nach, wer noch jemanden in der Familie hat, der den Zweiten Weltkrieg hier erlebt hat“, gibt er Besuchern auf den Weg mit, „wir freuen uns über jeden Kontakt und persönlichen Bericht“.

Tipps und Informationen:

Unterkunft: Verdun, Frankreich: „Les Jardins du Mess“, 4-Sterne-Hotel direkt am Flussufer in Fußnähe zur Innenstadt, Doppelzimmer ab 111 Euro (lesjardinsdumess.fr).

Urspelt, Luxemburg: „Château d‘Urspelt“, 4-Sterne-Plus-Resort in den Mauern eines historischen Landschlosses, mit Spa-Bereich, Doppelzimmer ab 230 Euro (chateau-urspelt.lu/de).

Bastogne, Belgien: „Merceny Motel“, 3 Sterne, schlicht, aber geschmackvoll, in Laufdistanz zur Innenstadt und verschiedenen Orten des Gedenktourismus, Doppelzimmer ab 69 Euro (lemerceny.be).

Stätten der Erinnerung: Gedenkpfad Schumannseck nahe Wiltz, Luxemburg: Startpunkt an der Bushaltestelle Wiltz, Schumann; weitere Infos, Karte sowie Audioaufnahmen unter landofmemory.eu/de/, mehr Infos zur Anreise unter visit-eislek.lu/de.

Nationalmuseum für Militärgeschichte, Diekirch, Luxemburg: mnhm.net, Eintritt ohne Ermäßigung fünf Euro.

Bastogne War Museum, Belgien: bastognewarmuseum.be, 22 Euro.

Mémorial de Verdun, Frankreich: memorial-verdun.fr/de, zwölf Euro, Kombiticket mit Fort Douaumont oder Fort Vaux 14,50 Euro, mit beiden Forts 17 Euro. Zitadelle Verdun: citadelle-souterraine-verdun.fr, 15 Euro.

Weitere Informationen: landofmemory.eu/de, hier finden sich auch Infos zu weiteren historischen Stätten sowie touristische Routen, Podcasts, Bücher.

Nie wieder – „Ich kann diese Rituale nicht mehr hören“

Am Gedenktag zur Reichspogromnacht 1938 erinnert Michael Wolffsohn, Professor für Zeitgeschichte, an eine Reihe antisemitischer Anschläge seit den 1960er Jahren und die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023. „Ohne Sicherheit gibt es keinen wirksamen Kampf gegen Extremismus“, so Wolffsohn.

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Initiative Land of Memory. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du . Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.