„Die Situation ist so schlecht wie noch nie“

Berlin, Düsseldorf In der Bau- und Wohnungswirtschaft steigt angesichts des stockenden Wohnungsbaus die Sorge vor einem Kapazitätsabbau in den Unternehmen. „Der Wohnungsmarkt steht am Kipppunkt“, warnt ein Bündnis von Organisationen und Verbänden der Bau- und Immobilienwirtschaft vor Beginn ihres Wohnungsbautags an diesem Donnerstag.

Noch reichten die Kapazitäten, um 400.000 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen. Die Baugenehmigungen sinken jedoch seit Monaten, Wohnbauprojekte werden verschoben oder storniert. Das Münchner Ifo-Institut meldete am Donnerstag eine Zunahme der Stornierungen. „Infolge der rasant gestiegenen Baukosten und der höheren Finanzierungszinsen rentieren sich viele Wohnungsbauprojekte nicht mehr, werden verschoben oder ganz gestrichen“, hieß es. „Das Neugeschäft bricht förmlich ein.“

In einer Studie des Wohnungs- und Bauforschungsinstituts ARGE Auftrag des Verbändebündnisses heißt es, der Wohnungsbau müsse „im Fluss“ gehalten werden. Sonst sei kurzfristig mit einem „drastischen Kapazitätsabbau“ zu rechnen. Damit fehle es dann auch langfristig an Möglichkeiten, Wohnungen in ausreichender Stückzahl zu bauen.

Der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, erklärte: „Bei den Unternehmen laufen die Auftragsbücher leer und es gibt bereits erste Entlassungen.“ Das sei dramatisch. „Wenn die Leute erst mal weg sind, kommen sie auch nicht wieder. Die Kapazitäten der Bauwirtschaft werden dann auf lange Jahre nicht ausreichen, um auch nur annähernd die eigentlich benötigten 500.000 Wohnungen im Jahr zu bauen.“

Die Bundesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der Legislaturperiode für jährlich 400.000 neue Wohnungen zu sorgen. Diese Zahl wird bei Weitem nicht erreicht werden. Nach Meinung des Bündnisses droht ein Absturz auf 250.000 Fertigstellungen im Jahr 2023 und 200.000 im Jahr 2024. 2021 waren knapp 293.400 Wohnungen fertiggestellt worden. Für 2022 belaufen sich die Schätzungen auf 280.000 neue Wohnungen.

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Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) warnte vor einer jahrzehntelangen Krise und dem Abbau von Arbeitsplätzen. Gewerkschaftschef Robert Feiger sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Der Absturz der Baukapazitäten geht rasend schnell: Der Abbau bei den Beschäftigten auf dem Bau läuft sechsmal schneller als der Personalaufbau.“ Die IG Bau zählt ebenso wie der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) oder der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) zum Bündnis. Auf dem Wohnungsbautag raten sie vorrangig zu drei Maßnahmen, um dem Wohnungsbau kurzfristig mehr Schwung zu geben.

1. Neubauförderung neu aufstellen

Das Bündnis ruft abermals nach einer staatlichen Sozialwohnungsbauoffensive. So solle bezahlbarer Wohnungsbau unter den aktuellen Rahmenbedingungen, insbesondere angesichts der hohen Finanzierungs- und Baukosten, rentabel gemacht werden. Dafür sei ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro notwendig. Nur damit sei ein Neubau von 100.000 Sozialmietwohnungen pro Jahr möglich.

Darüber hinaus brauche es angesichts des drastisch gestiegenen Zinsniveaus auch eine Förderung von bezahlbarem Mietwohnungsbau für Haushalte, die zwar oberhalb des sozialen Wohnungsbaus liegen, für die aber Wohnraum, der von den Wohnungsunternehmen ohne Fördermittel geschaffen wird, derzeit nicht erschwinglich ist. Hierfür wäre nach der Studie eine Größenordnung von 22 Milliarden Euro für diese Legislaturperiode notwendig.

Neuen bezahlbaren Wohnraum für mittlere Einkommensgruppen halten die Autoren bei der derzeitigen Neubauförderung für nicht machbar. Diese gilt in der Branche als sehr ambitioniert, die Förderbedingungen sind hoch.

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Die strengen Dokumentationspflichten bei einem Neubau müssten vereinfacht werden. „Die aktuelle Förderung führt zu einer weiteren Erhöhung der Komplexität von Vorgaben und scheitert in der Praxis an fehlenden Kapazitäten zur Nachweisführung“, warnt das Bündnis. „Wir brauchen hier schnell klare und einfache Bedingungen.“

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2. Fokus auf genehmigte, aber nicht gebaute Wohnungen

Um schnell neue Wohnungen bauen zu können und die Kapazitäten am Bau zu erhalten, fordert das Bündnis eine Umwidmung des Bauüberhangs von rund 900.000 Wohneinheiten. Damit sind genehmigte, aber noch nicht fertiggestellte Wohnungen gemeint. Aktuell sind laut Studie beim Bauüberhang circa 30 Prozent der Wohnungen im Rohbau fertiggestellt, 30 Prozent im Rohbau und 40 Prozent genehmigt, aber noch nicht begonnen.

Sozialwohnungen

Das Bündnis ruft abermals nach einer staatlichen Sozialwohnungsbauoffensive.

(Foto: IMAGO/photothek)

Diese frei finanzierten und mit Marktmieten geplanten Projekte sollten in geförderte bezahlbare Wohnungen oder Sozialwohnungen umgewandelt werden, regt das Bündnis an. Dies könne durch attraktive Anreize, finanzielle Zuschüsse, zum Beispiel für notwendige Umplanungen, günstige Kredite und reduzierte Auflagen erreicht werden. „Diese wäre eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, die gerade in Zeiten mit einbrechender Baukonjunktur Signalwirkung hätte“, erklären die Autoren.

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Die soziale Wohnungsbauförderung könne sich hier zu einem entscheidenden Faktor entwickeln, wenn Investoren die damit verbundenen Chancen für die Realisierung ihrer Projekte erkennen und Kommunen die notwendigen Anpassungen kurzfristig genehmigen würden.

3. Bauflächen ausweisen, Baudichte erhöhen

Zentral für den Neubau von bezahlbaren Wohnungen ist für das Bündnis einerseits die Vergabe von kostengünstigen Bauflächen. Andererseits müssten aber auch die vorhandenen Potenziale im Bestand genutzt werden. „Daher sind die Möglichkeiten der Erweiterung mit Aufstockungen und Dachausbauten, der Nachverdichtung im Quartier und der Umwandlung von Büro- oder Gewerbeimmobilien in bezahlbaren Wohnraum in jeglicher Hinsicht zu fördern“, heißt es.

Wohnungsbau

Dachdeckungsarbeiten sollten der Studie zufolge unter anderem gefördert werden.

(Foto: dpa)

Modellrechnungen zeigten, dass allein eine Erhöhung der baulichen Dichte in Ballungszentren Mietpreissenkungen von 20 Prozent und mehr pro Quadratmeter ermöglichen, heißt es. Außerdem trage dies auch maßgeblich zu einer Reduktion des Flächenverbrauchs für den Bau neuer Wohnungen bei.

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Diese Nachverdichtung könnte unter anderem durch steuerliche Anreize oder durch weitere Fördertöpfe erreicht werden. Dabei sollten sowohl eine Modernisierung und Aufstockung des Bestands als auch ein Abriss und Neubau gleichwertig behandelt werden, fordert das Bündnis.

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