Das Pulverfass an der Grenze

ICHm Keller des Auswärtigen Amtes sitzt das Krisenreaktionszentrum, und dort tagt hinter schweren Tresortüren der Krisenstab der Bundesregierung. Seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober tut er es regelmäßig mit Blick auf die Lage in und um Israel. So auch am vergangenen Donnerstag, als der Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes eine Sitzung leitete, an der unter anderem Vertreter des Verteidigungsministeriums, des Kanzleramts und des BND teilnahmen.

Es sollte um eine Ressortabstimmung zur Krisenvorsorge Libanon gehen und um die Frage, wie groß die Gefahr einer Eskalation ist – und wie man sich darauf vorbereitet, im Falle einer Ausweitung des Krieges die deutschen Staatsbürger schnell aus Libanon zu holen. Wie das Protokoll mit dem Vermerk „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ zeigt, gehen die Einschätzungen zwischen Auswärtigem Amt und Bundesverteidigungsministerium vor allem bei der letzten Frage deutlich auseinander.

Seit dem Kriegsausbruch besteht nicht nur in der Region die Sorge vor einem Flächenbrand. Im Blick war dabei stets der Norden Israels, die Grenzregion zu Libanon, wo die Hizbullah und israelische Streitkräfte sich seit Wochen Gefechte liefern. Für Berlin ergab sich aus dieser Sorge auch die Frage, wie man deutsche Staatsbürger schnellstmöglich aus Libanon holen kann, sollte die Lage eskalieren. Das Land wäre dann nur schwer zu erreichen, der Flughafen in Beirut mutmaßlich nicht zu benutzen. Im Süden des Landes stehen die israelischen Truppen, der Rest des Landes grenzt entweder ans Meer oder an Syrien.

Am Freitag hatte Außenministerin Annalena Baerbock den libanesischen Außenminister Abdallah Bou Habib in Berlin empfangen. Laut Protokoll vom Vortag wollte sie dabei auch die Planungen für eine mögliche Evakuierung ansprechen. Vor der Presse sprach Baerbock nach dem Gespräch von einem „brandgefährlichen Pulverfass“ an der Grenze.

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Wie ein Schlagabtausch

Aus dem Protokoll aus dem Krisenkeller lässt sich herauslesen, dass die Vertreter des Auswärtigen Amtes nicht nur die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen Israel und der Hizbullah als sehr hoch einschätzen – sondern offensichtlich vom Bundesverteidigungsministerium mehr erwarten mit Blick auf eine mögliche Evakuierungsaktion. Auf der Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes hat sich eine sehr hohe dreistellige Zahl von Menschen mit deutschem Pass in Libanon registriert. Schon Ende Oktober hatte das Auswärtige Amt deutsche Staatsbürger aufgefordert, das Land zu verlassen.


Bild: F.A.Z.-Karte sjs.

Ebenfalls Ende Oktober hatte die Bundeswehr auf Zypern umfangreiche Vorbereitungen für eine große Evakuierungsoperation getroffen. Dazu wurden auf der Insel Kriegs- und Versorgungsschiffe konzentriert, darunter erstmals eine Fregatte der 125er-Klasse, dazu Transportflugzeuge. Aus der einsatzerprobten Luftlandebrigade und anderen Verbänden wurden etwa 900 Soldaten mit Material und Fahrzeugen nach Zypern gebracht. Nach rund vier Wochen ohne konkreten Einsatz wurde ein Großteil des Personals zurück nach Deutschland geflogen.

Die Bundeswehr halte „ihre Ressourcen für Evakuierungsoperationen grundsätzlich so verfügbar, dass sie weltweit flexibel auf Krisenlagen reagieren kann“, so das Verteidigungsministerium. Die „lang anhaltende Bindung der Evakuierungskräfte in einer Region reduziert die grundsätzliche Reaktionsfähigkeit der Bundesregierung auf andere Szenarien“, hieß es Ende November, nachdem es offenbar schon damals Einwände des Auswärtigen Amtes gegen die Reduzierung gegeben hatte.

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