Cyberrisiken: Hiscox-Chef fordert multinationale Lösung

Der britische Spezialversicherer Hiscox kennt sich aus im Schutz gegen Hackerangriffe. Sein Chef Aki Hussain ist sich bewusst, dass der Versicherungsschutz hier an seine Grenzen stößt. „Geopolitische Risiken können dazu führen, dass sich Cyberangriffe gegen die nationale Infrastruktur richten. Diese Systemrisiken kann die Privatwirtschaft nicht tragen“, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z.

Dies sieht der größte Rückversicherer der Welt, die Munich Re, ähnlich. So fordert Vorstandschef Joachim Wenning eine staatliche Absicherung. Hiscox-Chef Hussain stimmt zu: „Eine Deckung mit staatlicher Beteiligung wäre hier notwendig.“ Doch handelt es sich seiner Ansicht nach um ein sehr komplexes Thema. Denn das Internet und die Clouds seien international und endeten nicht an den Landesgrenzen. Die Gespräche auf einzelne Länder zu begrenzen sei nicht sinnvoll. „Sie müssten auf multinationaler Ebene stattfinden, aber das ist schwierig“, ist er sich bewusst; „Eine schnelle Lösung ist hier nicht zu erwarten.“

Letztendlich hält er es für sinnvoll, eine internationale Institution dafür zu schaffen, quasi ein Cyber-Pendant zur Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA). „Wir können froh sein, dass bislang eine Cyber-Katastrophe ausgeblieben ist.“ Es habe größere Zwischenfälle gegeben, aber noch keine systemischen Gefahren, zieht Hussain eine Zwischenbilanz.

Selbständige und IT-Berater brauchen speziellen Schutz

Mit Cyberrisiken beschäftigt sich His­cox seit mehreren Jahren. So hat die Gesellschaft vor zwölf Jahren als erster Versicherer in Deutschland Cyberpolicen angeboten. „Unsere Kunden benötigen immer mehr Versicherungsschutz gegen Cyberrisiken“, berichtet Hussain und fügt hinzu: „Diese ändern sich sehr rasant.“ Andere Risikoklassen veränderten sich über mehrere Jahrzehnte, die Cyberrisiken aber innerhalb weniger Monate. Er wirbt mit dem Fachwissen, das sich Hiscox auf diesem Feld aufgebaut hat.

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Zu den Unternehmenskunden zählen kleine und mittelgroße Unternehmen, insbesondere Selbständige wie IT-Berater. Diese benötigten einen speziellen Schutz. „Nicht alle erleiden direkte, maßgeschneiderte Angriffe, sondern werden häufig breiter etwa mit Schadsoftware attackiert“, sagt der Hiscox-Chef. Meistens hätten sie auch keine eigenen IT-Abteilungen: „Sie benötigen deshalb von uns Unterstützung, um mit den Problemen umgehen zu können.“ Das könnten zum Beispiel auch Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der Cyberrisiken durch Erhöhung der eigenen Cyber-Resilienz sein. Das Angebot fokussiert sich nach seinen Worten auf Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 100 Millionen Euro.

„Wir verstehen uns als spezialisierter Versicherer, zeichnen also nicht alle Risiken“, sagt Hussain. Aufgrund der Spezialisierung beruhe die Strategie darauf, die Bedürfnisse der Kunden in bestimmten Segmenten besonders gut zu verstehen. Im Privatkundengeschäft zielt Hiscox auf Personen mit höheren Einkommen und versichert auch Kunstwerke oder Oldtimer. Von Großbritannien und den Bermudas aus bietet Hiscox auf der ganzen Welt Rückversicherungen an. Diese konzentrierten sich zu einem großen Teil auf Immobilieneigentum und Katastrophenversicherungen in Nordamerika, sagt Hussain. Die Wurzeln reichen bis auf das Jahr 1901 zurück als Syndikat für spezielle Risiken im Londoner Versicherungsmarkt Lloyd’s.

Auch KI kommt zum Einsatz

„Hier sind wir auch weiterhin tätig“, betont der Hiscox-Chef. Der Versicherer hat nach seinen Angaben größere Aktivitäten in Nordamerika und Europa. Das Geschäft in Asien sei kleiner. Der größte Markt in Kontinentaleuropa sei der deutsche. Am schnellsten wachse das Unternehmensgeschäft. Im vergangenen Jahr verbuchte Hiscox Prämieneinnahmen von 3,6 Milliarden Dollar, was einem Plus von 10,7 Prozent entsprach. Der Gewinn vor Steuern stieg von 276 Millionen auf 626 Millionen Dollar. Die Aussichten als Spezialversicherer schätzt Hussain zuversichtlich ein: „Das Internet hat neue Berufe geschaffen und die Struktur der Wirtschaft verändert.“ Der Dienstleistungsbereich habe gegenüber dem Verarbeitenden Gewerbe stark an Bedeutung gewonnen. „Das ist gut für uns, weil wir dadurch viele neue Geschäftsmöglichkeiten haben. In der Altersgruppe der 30- und 40-Jährigen fassten immer mehr den Mut, ihr eigenes Geschäft aufzubauen, statt in einem großen Unternehmen zu arbeiten“. Das Internet habe die Strukturen der Wirtschaft deutlich demokratisiert. Dieser Trend habe das Wachstum von Hiscox angetrieben, ist er überzeugt. Vor 20 Jahren habe es noch nicht so viele selbständige IT- oder Marketingberater gegeben wie heute.

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Künstliche Intelligenz (KI) setzt Hiscox seinen Worten zufolge schon sehr lange ein. Maschinelles Lernen gebe es seit einiger Zeit. Mit Google arbeitet Hiscox in einem Projekt („proof of concept“) zusammen, um den Maklern einen schnelleren Entscheidungsprozess im Neugeschäft zu bieten. Anfragen, die zwei bis drei Tage brauchten, könnten innerhalb von zwei bis drei Minuten bearbeitet werden. „Zeit ist Geld“, sagt Hussain. Seiner Ansicht nach befindet sich das KI-Thema in einer Hypephase: „Es wird viel darüber gesprochen, aber wir sind aktuell noch in einem frühen Stadium und können die vollen Auswirkungen heute noch längst nicht abschätzen.“ Das erinnert ihn an das Jahr 1999, als damals über die Möglichkeiten des Internets spekuliert wurde: „Allerdings können wir inzwischen feststellen, wie tiefgreifend die Internettechnologie die Welt verändert hat.“ Es seien neue Indus­trien und Hunderte von Millionen neuer Jobs geschaffen worden.

Die KI werde wahrscheinlich das gleiche Potential haben, aber noch einige Jahre benötigen, sagt Hiscox: „Das verschafft uns zahlreiche neue Geschäftsmöglichkeiten.“ Gleichzeitig entstünden neue Cyberrisiken. Die Angriffe könnten noch ausgefeilter und personalisierter ausfallen. „Es wird ein Wettrennen geben, weil die KI auch die Verteidigungsmechanismen verbessern wird“, erwartet er.

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