Wie lange halten Lehrer durch?

ICHn der zweiten Woche nach den Sommerferien dachte Franziska Klumpp zum ersten Mal: „Das schaffe ich nicht.“ Ein Blick in den Kalender, nur 15 Unterrichtswochen bis Weihnachten, wovon einige wie immer für den Start ins Schuljahr und Klassenfahrten draufgehen. Wie sollte sie in diesem kurzen Halbjahr zehn Klassenarbeiten und Klausuren unterbringen? Klumpp, 52 Jahre, Lehrerin für Deutsch, Englisch und Latein an einem Berliner Gymnasium, Zweidrittelstelle, rechnet in Stapeln: Fünf Klassen und Kurse mal zwei Arbeiten macht zehn Stapel. Für jeden dieser Stapel veranschlagt sie ein bis zwei Wochenenden zum Korrigieren. „Wann soll das gehen?“, fragt sie.

Julia Schaaf

Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

In der dritten Woche nach den Sommerferien war Klumpp zum ersten Mal krank. Eigentlich ist sie von eher robuster Gesundheit. „Diesmal hat es mich erwischt.“ Da war dieses Kratzen im Hals, vermutlich hätte sie sich schonen sollen. Aber am nächsten Tag hatte sie nur vier Stunden Unterricht. Viel trinken! Vor der Konferenz am Nachmittag würde sie sich unbedingt ausruhen! Die Elternversammlung abends kurz halten! Anschließend lag sie zehn Tage flach. „Das wundert mich gar nicht“, sagt Franziska Klumpp. „Da bin ich über meine Belastungsgrenze gegangen.“

Klumpp ist seit 20 Jahren Lehrerin. Sie liebt ihren Beruf und empfindet es als Privileg, immer wieder neu erleben zu dürfen, wie Kinder und Jugendliche sich entwickeln und entfalten. „Die Schüler sind das Beste an der Schule“, sagt sie in der vierten Woche nach den Berliner Sommerferien. Aber der Preis für diese Erfüllung sei hoch. Sie sagt: „Man muss sehr auf sich achtgeben, dass man nicht unter die Räder kommt.“

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„Die Daten sind alarmierend“

Früher war der Lehrerberuf als lockerer Halbtagsjob mit langen Ferien verschrien. Seit zwei Jahrzehnten wird immer wieder diskutiert, wann Schulstress sich zur Gesundheitsgefahr auswächst. Bei einem Protesttag Ende September demonstrierten Tausende für eine Wende in der deutschen Bildungspolitik. In dem Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hieß es: „Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Das veraltete, unterfinanzierte und sozial ungerechte Bildungssystem macht krank.“

Eine kurz darauf veröffentlichte Studie attestierte erstmals speziell auch Schulleitern eine starke Gesundheitsbelastung und ein hohes Burnout-Risiko. „Die Daten sind alarmierend“, sagte der Vorsitzende der GEW Hamburg, Sven Quiring. Spätestens nach den Herbstferien, wenn mit dem Nieselwetter die Erkältungswelle anrollt, wird die Überlastungsfrage auch in den Familien relevant: Schon wieder Vertretung in Mathe! Und wieso fällt die Biolehrerin jetzt längerfristig aus?

Wie lange halten Lehrer durch?

Wie immer im deutschen Bildungswesen ist die Antwort kompliziert und auch mit Zahlen nicht ohne Weiteres aufzudröseln. Klar ist, dass ein beträchtlicher Anteil der Lehrer nicht erst mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand geht, sondern früher aufhört. Der Anteil der Pensionierungen, die wegen Dienstunfähigkeit erfolgen, pendelt bundesweit seit 2014 bei circa zwölf Prozent. Wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervorgeht, gab es 2021 einen Anstieg auf 15,4 Prozent. Für eine Deutung ist es noch zu früh. Durchschnittsalter bei Dienstunfähigkeit zuletzt: 57 Jahre.

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