Denn nur wenige Dinge sind für die Identität eines Landes so existenziell wie die Entscheidung, wer die Staatsbürgerschaft erhält oder sich dort niederlassen und Teil seiner Gemeinschaft sein darf.
Als deutscher Innenminister ist Faeser seit Ende 2021 für die Überwachung der historischen Gesetzgebung in beiden Bereichen verantwortlich. In einer Zeit, in der andere europäische Länder die Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsbestimmungen verschärfen – auch für qualifizierte, gut integrierte Einwanderer – setzt Faesers deutsches Innenministerium auf mehr Offenheit.
Im März gab es umfassende Einwanderungsreformen, die es Fachkräften erleichtern sollten, nach Deutschland zu kommen, auf Wunsch ihre Eltern mitzubringen und sogar nach Deutschland zu kommen, bevor ihre ausländischen Qualifikationen von der berüchtigten deutschen Bürokratie anerkannt werden.
Fachkräfte haben zudem einen schnelleren Weg zu einem festen Wohnsitz in Deutschland – teilweise bereits nach 21 Monaten.
Ende 2024 wird auch das punktebasierte System eingeführt Chancenkarte – oder „Gelegenheitskarte“. Ein deutsches Novum: Wer über genügend Punkte verfügt, könnte theoretisch ohne festes Stellenangebot nach Deutschland kommen und dort bereits auf Arbeitssuche gehen. Vielleicht können sie sogar kommen, wenn sie noch kein Deutsch sprechen – wenn sie in anderen Bereichen genügend Punkte haben. In einem Land, das normalerweise nicht für seine Flexibilität bekannt ist, zeigt Faesers Innenministerium viel mehr davon, um dem Fachkräftemangel im Land entgegenzuwirken.
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Wegweisende Staatsbürgerschaftsreform
Viele Local-Leser werden auch mit einem weiteren bahnbrechenden Gesetz aus Faesers Schreibtisch vertraut sein – der lang erwarteten Reform der doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland. Nach wiederholten Verzögerungen aufgrund von Streitigkeiten zwischen den drei Regierungsparteien unterzeichnete und bestätigte der Bundespräsident Ende März schließlich das neue Staatsbürgerschaftsgesetz – und startete damit einen dreimonatigen Countdown für die Anpassung der Bürokratie des Landes an die neuen Regeln.
Ab dem 26. Juni wird das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht es Menschen ermöglichen, bei der Einbürgerung mehrere Staatsangehörigkeiten zu besitzen, und die Zeit, die jemand in Deutschland verbringen muss, bevor er die Staatsbürgerschaft beantragt, von acht auf fünf Jahre verkürzen.
Der Amerikaner Rick Hoffmann, der australisch-italienische Joe Del Borrello und die brasilianisch-kanadische Dini Silviera freuen sich darauf, sich nach der Verabschiedung der Reform der doppelten Staatsbürgerschaft der Regierung um die deutsche Staatsangehörigkeit zu bewerben. Fotos: Rick Hoffmann, Joe Del Borrello, Dini Silviera
Es verlief nicht ohne Kontroversen, da die Christdemokraten (CDU) des Landes bis zuletzt lautstarke Gegner blieben. Der CDU-Abgeordnete Alexander Throm bezeichnete es in der Bundestagssitzung, in der das Gesetz endgültig verabschiedet wurde, als ein „Staatsbürgerschaftsentwertungsgesetz“, das „die weitreichendsten negativen Folgen für unser Land“ habe.
In derselben Debatte wies der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese auf eine historische Symmetrie hin, nämlich dass der hessische Sozialdemokrat Faeser für die Verabschiedung des Doppelstaatsbürgerschaftsgesetzes verantwortlich sei, das ein hessischer CDU-Ministerpräsident vor 25 Jahren ursprünglich torpediert hatte.
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Throm hatte in einer Sache Recht. Die Ergebnisse von Faesers Gesetzgebung dürften langfristige und weitreichende Auswirkungen haben. Sowohl die Befürworter als auch die Kritiker des neuen Gesetzes sind sich zumindest über seine Bedeutung einig.
Es könnte durchaus sein, dass es eines der langlebigsten Vermächtnisse der Ampelregierung wird. Selbst wenn die CDU im Jahr 2025 erneut das Kanzleramt übernehmen sollte – wie aktuelle Umfragen vermuten lassen – dürfte kein anderer möglicher Koalitionspartner einer Aufhebung des Gesetzes zustimmen. Die doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland – und damit die Akzeptanz einer vielfältigen Identität – dürfte bestehen bleiben, selbst wenn es einer künftigen CDU-geführten Regierung gelingt, das Einwanderungs- oder Asylrecht in Zukunft zu verschärfen.
SPD-Kandidatin und Innenministerin Nancy Faeser und CDU-Kandidat Boris Rhein im hessischen Wiesbaden während des Wahlkampfs. Foto: picture Alliance/dpa | Boris Rössler
Faesers unauffälliger Stil
Trotz der Gewichtigkeit der Gesetzgebung, die sie durch ihr Ministerium und den Bundestag vorangetrieben hat, ist Faeser nicht für große Ankündigungen bekannt. Sie hat es größtenteils anderen überlassen, öffentlich für die Bedeutung des Doppelstaatsbürgerrechts zu plädieren, etwa den Parlamentsberichterstattern Hakan Demir (SPD), Filiz Polat (Grüne) und Stephan Thomae (FDP). Sie gibt gern Interviews in Frühstücksshows, geht aber selten in abendliche Talkshows.
Als gesetzgeberisches Arbeitstier scheint Faeser einfach zu ihrer nächsten Aufgabe überzugehen, ohne viel Aufhebens um die Aufgabe zu machen, die sie gerade erledigt hat. Der Grund ist wahrscheinlich ebenso unscheinbar – sie hat einfach viel zu erledigen. Heute Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsreform, morgen Vorschläge zur Verschärfung der Waffenkontrollen in Deutschland oder Visaverbote für russische Sportler. Auch bei der Landtagswahl in ihrem Heimatland Hessen im vergangenen Herbst fand sie Zeit, Spitzenkandidatin ihrer Partei zu werden.
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Faeser hatte vor ihrer Ernennung zur Innenministerin noch nie ein Bundesamt inne und kam aus der hessischen Landespolitik, wo sie von 2003 bis 2021 als Landtagsabgeordnete tätig war und schließlich 2019 hessische SPD-Landesparteivorsitzende wurde Als Ministerin im Jahr 2021 hatten nur wenige Deutsche außerhalb Hessens von ihr gehört – ganz zu schweigen von den Internationalen.
Nancy Faeser lächelt im November 2015 auf dem SPD-Landesparteitag in Kassel (Hessen). Foto: picture Alliance / dpa | Uwe Zucchi
Im Fokus der Medien im In- und Ausland stehen weiterhin Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Vizekanzler Robert Habeck oder Finanzminister Christian Lindner. Angesichts der Kontroverse über die Strategie Berlins im russischen Krieg gegen die Ukraine ist dies vielleicht verständlich.
Bei einer solchen Fokussierung könnte jedoch manchmal ein weiterer grundlegender Wandel außer Acht gelassen werden, der derzeit in Deutschland stattfindet – da das Land seine Herangehensweise an die Frage ändert, wer Mitglied seiner nationalen Gemeinschaft werden darf. Nancy Faeser ist möglicherweise eines der wenigen Mitglieder der aktuellen deutschen Regierung, deren Erbe weit über ihre Amtszeit hinaus anhält.
Ob man mit ihrer Politik einverstanden ist oder nicht, das verdient mehr deutsche und internationale Reflexion.