Die Kundgebung in Washington lief schon gut zwei Stunden, als Rudy Giuliani und John Eastman am 6. Januar 2021 gemeinsam die Bühne betraten. Die Menge vor dem Weißen Haus jubelte, und Giuliani kam gleich zur Sache: „Der Plan für heute ist absolut legal“, versicherte er den versammelten Trump-Anhängern. Als Kronzeugen führte er „einen der bedeutendsten Verfassungswissenschaftler der Vereinigten Staaten“ an – den neben ihm stehenden Eastman. Dann fuhr er mit der Behauptung fort, nur ein einziger Mann in den Vereinigten Staaten könne die Bestätigung des Wahlergebnisses von 2020 noch verhindern: Vizepräsident Mike Pence. Wenige Stunden später sollten die Demonstranten im drei Kilometer entfernten Kapitol randalieren, die formelle Bestätigung des Wahlergebnisses unterbrechen, auf Polizisten losgehen und den Tod von Pence fordern.
Damals war es vor allem Giuliani, den die Amerikaner kannten, den früheren Staatsanwalt und New Yorker Bürgermeister, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu „Amerikas Bürgermeister“ wurde. Eastman dagegen war keine politische Figur, ein Anwalt und Juraprofessor in Kalifornien, der sich erst neuerdings an der Seite Donald Trumps fand. Beide waren jedoch maßgeblich an der Planung und Ausführung von Trumps Versuch beteiligt, das Wahlergebnis zu seinen Gunsten umzukehren.
Zweieinhalb Jahre später stehen sie nun als Mitverschwörer Nummer eins und zwei in der Anklageschrift gegen den früheren Präsidenten. Nicht namentlich, doch ihre Anwälte haben die Zuordnung bestätigt. Über Giuliani heißt es: ein Anwalt „der bereit war, wissentlich falsche Behauptungen zu verbreiten und Strategien voranzutreiben“, die andere Anwälte Trumps nicht zu unterstützen bereit waren. Eastman wird als ein Anwalt beschrieben, der „eine Strategie entwickelte und in die Tat umzusetzen versuchte, um die zeremonielle Rolle des Vizepräsidenten bei der Bestätigung des Wahlergebnisses“ für Wahlbetrug zu nutzen.
Ein alter Bekannter aus New Yorker Zeiten
Geht es nach der Anklageschrift des Sonderermittlers Jack Smith aus der vergangenen Woche, war der 6. Januar 2021 noch nicht das Ende, wohl aber der Höhepunkt der monatelangen Bemühungen unter anderen Giulianis und Eastmans, Trump entgegen den Ergebnissen abermals zum amerikanischen Präsidenten zu machen. Dass die beiden Männer, ebenso wie die vier anderen genannten Verschwörer, bislang nicht angeklagt wurden, kann verschiedene Gründe haben. Die Staatsanwaltschaft könnte einen Deal anstreben, um sie als Zeugen gegen Trump zu gewinnen. Eine andere Möglichkeit ist, dass Sonderermittler Smith das Verfahren gegen Trump vor der Präsidentenwahl im kommenden November nicht unnötig durch weitere Anklagen verlangsamen will.
Der 79 Jahre alte Giuliani ist seit jeher ein Mann der Öffentlichkeit. Als Trump angeklagt wurde, schrie er im Sender Newsmax in die Kamera, den Amerikanern werde ihr Recht auf freie Meinungsäußerung genommen. Das wird in der Anklageschrift ausdrücklich verneint – Trump dürfe durchaus über den Ausgang der Wahl lügen, solche Äußerungen dürften nur nicht in Wahlbetrug enden. Giuliani und Trump kennen sich aus ihren New Yorker Zeiten, wo Giuliani bis 1989 Bezirksstaatsanwalt und von 1994 bis 2001 schließlich Bürgermeister war. Zu Verbündeten wurden die beiden Männer jedoch erst im Jahr 2016: Trump brauchte damals als Präsidentschaftskandidat und Außenseiter Kontakte in die republikanische Partei, Giuliani wiederum suchte einen Weg zurück in das Machtgefüge der amerikanischen Politik.