Warum gibt es so wenige Opfer?

Die Menschen rennen um ihr Leben. Eben saßen sie noch in ihren Autos und warteten im Berufsverkehr an einer Ampel. Nun reißen sie die Türen auf und stürzen über die mehrspurige Straße. Erst dann zeigt das Bild der Verkehrskamera, warum sie das tun. Von der Seite fallen die Trümmer eines Hauses auf die Straße. Das ganze Gebäude droht auf die Autos zu stürzen, verharrt dann aber in einer bizarren Schräglage.

Tim Canning

Korrespondent für Wirtschaft und Politik in Japan mit Sitz in Tokio.

Bilder und Videos solcher eingesackter Häuser machen schnell die Runde, nachdem am Mittwoch früh um acht Uhr Ortszeit ein Erdbeben der Stärke 7,4 vor der Ostküste Taiwans den gesamten Inselstaat erschüttert hat. Sie lassen Schlimmstes befürchten, zumal für die südlichen Inseln von Japan und die Philippinen sofort eine Tsunami-Warnung mit befürchteten drei Meter hohen Wellen ausgegeben wird. Und doch bleiben die Opferzahlen der Katastrophe erstaunlich gering. Bis zum Abend vermelden die taiwanischen Behörden neun Tote und 821 Verletzte.

Der relativ glimpfliche Ausgang erinnert an das Beben am Neujahrstag auf der japanischen Halbinsel Noto, bei dem nach Erdstößen der Stärke 7,5 rund 230 Tote zu beklagen waren. In der Türkei sah das im vergangenen Jahr ganz anders aus. Ein vergleichbar starkes Beben forderte dort laut offiziellen Angaben mehr als 50.000 Opfer. Die unterschiedlich schweren Folgen sind einerseits ein Ausdruck davon, dass sich Beben, die zwar die gleiche Magnitude aufweisen, höchst unterschiedlich stark an der Erdoberfläche auswirken können.

Schutz in der Esstischhöhle

Doch die vergleichsweise niedrigen Opferzahlen bei den beiden Beben entlang des Pazifischen Feuerrings zeigen noch etwas anderes: Hier, wo die Erde viele Male im Jahr bebt, setzen die Behörden und vor allem auch die Bürger vieles daran, sich auf den Ernstfall vorzubereiten – mit besonderen Bauweisen, Erdbebentrainings für Kinder und Kisten voller Trockennahrung.


Bild: dpa

Ortsbesuch in einem Katastrophen-Übungszentrum am Rande von Tokio: Für vier Erwachsene ist es arg eng unter dem kleinen Esstisch. Jeder klammert sich an einem Tischbein fest, denn der Boden ruckelt wie früher im Kirmes-Karussell. Und das Schütteln will gar nicht mehr aufhören. „Lassen Sie sich gegenseitig unter den Tisch, seien Sie nett zuein­ander“, ruft der Mann im schwarzen Anzug, mit weißer Atemmaske und weißen Handschuhen, der das Treiben aus sicherer Entfernung beobachtet. „In Fukushima hat die Erde drei Minuten lang so gebebt. Vor allem Ihre Köpfe müssen geschützt sein“, sagt er. Da stürzt einem der Männer, der nicht weit genug unter den Tisch gekrochen ist, auch schon ein Schrank in den Rücken. Er ächzt.

Als das Ruckeln endlich aufhört, kommen die drei Männer und eine Frau aus ihrer Esstischhöhle hervor, und der Mann im schwarzen Anzug ruft: „Drei Sachen müssen Sie jetzt bedenken. Wissen Sie noch, welche?“ Kurzes Überlegen. Dann geht einer der Männer zum Herd und dreht das Gas ab, ein anderer legt den Hauptschalter des Sicherungskastens um. Was war das Dritte? Ach richtig: Alle Türen aufmachen, damit im Falle eines Nachbebens die Fluchtwege frei sind.

Was, wenn ein Erdbeben Tokio trifft?

Zum Glück war der Schrank, den der Mann abbekommen hat, nur aus Schaumstoff, auf dem Herd steht kein echtes kochendes Wasser. Und das Ruckeln war nicht wirklich ein Erdbeben der Stärke 7. Das Zimmer, in dem die vier Teilnehmer gerade unter den Tisch kriechen mussten, gehört zum Tachikawa Disaster Prevention Center, in dem die Feuerwehr und die Stadt den Bürgern vermitteln wollen, wie sie im Ernstfall reagieren sollten.

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