Unternehmen tun mehr, um Skandale zu vermeiden

279 Millionen Dollar: Diese unglaubliche Summe bekam ein Whistleblower im Mai 2023 von der amerikanischen Börsenaufsicht SEC überwiesen. Der Tippgeber, dessen Identität bis heute geheim ist, hatte den Behörden zielführende Hinweise in einem milliardenschweren Anlegerskandal gegeben. Wie das Beispiel zeigt, gibt es für Börseninsider in den USA erhebliche finanzielle Anreize, Verstöße gegen das Wertpapierrecht zu melden.

In Deutschland hingegen kam es kurz danach im Juni zu einer Neiddebatte, weil einer der Informanten der„Panama Papers“ mit 14,5 Millionen Euro entlohnt worden sein soll. Nur dank solcher Hinweise konnten allein die deutschen Steuerbehörden Mehreinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe erzielen. Das im Juli in Kraft getretene Hinweisgeberschutz-Gesetz sieht keine finanzielle Anreize für Tippgeber in Finanzskandalen vor.

Dass sich europäische Unternehmen mit „Whistleblower bounties“ schwerer tun als die im Umgang damit deutlich geübteren angloamerikanischen Unternehmen, zeigt eine Umfrage von Freshfields Bruckhaus Deringer . Dafür hat die Großkanzlei abermals mit mehr als 2500 Managern auf unterschiedlichen Führungsebenen in großen Unternehmen und 13 Branchen im Vereinigten Königreich, in den USA, Hongkong, Deutschland und Frankreich über ihre Erfahrungen mit Whistleblowern und Hinweisgebersystemen gesprochen.

Amerikaner befürworten Belohnung

In den früheren Erhebungen hatten sich die Befürworter solcher finanziellen Anreize und deren Kritiker die Waage gehalten. Doch in der Neuauflage der zuletzt 2020 durchgeführten Umfrage glaubt ein größerer Anteil der Befragten, dass die Belohnung von Whistleblowing positive Auswirkungen auf ihre Unternehmen hat.

Den größten Sinneswandel gibt es in Amerika: 2020 sagten noch 39 Prozent der Befragten, dass finanzielle Anreize für Hinweisgeber keinen oder einen negativen Einfluss auf ihren Arbeitgeber haben. Ihr Anteil ist nun auf 5 Prozent gesunken. Dank der Beteiligung der Hinweisgeber sei auch die Gesetzes- und Regeltreue und Transparenz in den Unternehmen gestiegen, erklären immer mehr US-Manager.

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Eine Kernaussage ist, dass interne Hinweise auf Missstände und Straftaten in Unternehmen, Behörden und Institutionen sowie die Förderung einer starken „Speak-up“-Kultur auf der ganzen Welt an Bedeutung gewinnen: 54 Prozent der Befragten finden, dass ihre Unternehmen interne Hinweise stärker fördern – ein Zuwachs von 13 Prozentpunkten verglichen zu 2020. Offenbar gelingt es, die eigene Belegschaft eher zu sensibilisieren, um Skandale und Reputationsrisiken zu vermeiden. So berichtet jeder Dritte von besseren Meldewegen für unangemessenes Verhalten von Vorgesetzten am Arbeitsplatz. Diese Entwicklung schreiben die Manager dem Einfluss der #MeToo-Bewegung zu.

Die Offenlegung der Identität eines Whistleblowers wird dennoch von immer mehr Menschen auf der ganzen Welt als wichtig erachtet: Im Vergleich zu 2020 stieg die Zahl der Befürworter von 50 auf 63 Prozent. Besonders bemerkenswert ist dieser Anstieg in den Vereinigten Staaten. Dort sprachen sich 81 Prozent der befragten Manager für eine Identifizierung des Whistleblowers aus – ein deutlicher Anstieg gegenüber nur einem Viertel der Befragten vor drei Jahren.

Kommunikation von Abläufen wichtig

Mehr als 40 Prozent der Befragten gaben an, selbst als Hinweisgeber, Empfänger oder Betroffener im eigenen Unternehmen beteiligt gewesen zu sein. Allerdings war weniger als die Hälfte der Ansicht, dass ein durchschnittlicher Mitarbeiter des eigenen Unternehmens weiß, was im Falle einer Meldung zu tun ist. Das unterstreicht wie wichtig es ist, Ablaufpläne vorzubereiten und im Unternehmen zu kommunizieren.

„Nur wenn die Mitarbeiter Vertrauen in die internen Meldestellen und den internen Aufklärungsprozess haben, werden sie die internen Meldewege nutzen und die Ergebnisse akzeptieren“, sagt Moritz Pellmann, Partner im Bereich Investigations & Compliance bei Freshfields. Andernfalls könne das Unternehmen die Kontrolle über die Aufklärung etwaiger Missstände verlieren, mahnt der Compliance-Fachmann. „Daher müssen Unternehmen sicherstellen, dass sie ihre Mitarbeiter regelmäßig schulen und die internen Meldekanäle flächendeckend und transparent kommunizieren.“

Ein Viertel der Interviewpartner gab jedoch an, dass die eigene Schulung nicht hilfreich war. Am häufigsten wurde diese Meinung in Frankreich geäußert. Dort waren fast zwei Drittel der befragten Führungskräfte der Ansicht, sie seien nicht ausreichend auf solche Vorfälle und mögliche arbeitsrechtlichen Konsequenzen vorbereitet worden.

Für Unternehmen in Europa zeigen die Daten, dass die Whistleblowing-Richtlinie bisher „nur begrenzte Auswirkungen“ habe, schreiben die Autoren von Freshfields. Der Grund: Die meisten EU-Mitgliedstaaten hatten die Frist zur Umsetzung der Richtlinie im Dezember 2021 gerissen. Erst in diesem Sommer konnten die Ampel-Parteien und die Union ihren Dissens beilegen und sich auf ein Gesetz einigen.

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