Südafrika: Der Weiße Hai bleibt weg – das verändert den Tourismus

Früh am Morgen legt die „Slashfin“ in einer kleinen Bucht bei Gansbaai ab. Das Wasser liegt da wie ein Tischtuch, es weht kaum ein Lüftchen. An Bord sind 30 Personen, die meisten bereits in Neoprenanzüge gehüllt. Einige sind sichtlich aufgeregt. Keine 20 Minuten dauert es, bis Dickie, der Skipper, das Boot stoppt, sich über die Reling beugt und die Käfige ins Wasser lässt. Der Arbeitstag kann beginnen.

Kenner nennen den Ort Shark Alley. Bei Adrenalin-Junkies war die „Haifisch-Allee“ lange Zeit eine Legende. Die Meerenge verläuft zwischen Dyer Island und Geyser Rock, zwei winzigen Felsinseln im Atlantik. Fast täglich patrouillierten dort Weiße Haie, die den Tausenden Südafrikanischen Seebären, einer auf dem Geyer Rock lebenden Ohrenrobbenart, nachstellten – ein Selbstbedienungsladen der Natur.

Nachdem die Welt das Cage Diving, das Tauchen in Stahlkäfigen, entdeckt hatte, boomte Anfang der 2000er-Jahre der Tourismus in Gansbaai. Viele nannten das Küstenstädtchen einfach nur „Shark Town“, andere die „Welthauptstadt des Weißen Hais“. Im Ort gab es kaum jemanden, der nicht mit der Industrie verbunden war: Reiseagenturen, Hotels, Restaurants, Souvenirläden. Alle verdienten bestens, denn es gab quasi Hai-Garantie.

Der Weiße Hai blieb aus – und mit ihm die Touristen

Doch nichts ist mehr, wie es früher war. Wenige Kilometer Luftlinie von der „Slashfin“ entfernt sitzt Wilfred Chivell im Restaurant des „Great White House“ in Kleinbaai. Über ihm hängt ein zwölf Meter langes Walskelett, die Wände schmücken Bilder von Weißen Haien. Im Restaurant herrscht reger Betrieb. „Die Natur ist durcheinandergeraten“, sagt der 64-Jährige. „Der Weiße Hai ist selten geworden. Oft sehen wir wochenlang keinen einzigen.“

Chivells Geschichte gleicht einem Märchen. 1987 stieß er beim Tauchen mit einem Freund auf ein Schiffswrack: die 1783 gesunkene dänische Nicobar. Deren Fracht, Hunderte wertvolle Plattenmünzen aus Kupfer, machte beide reich. Chivell kaufte 2005 das Tauchunternehmen Marine Dynamics und machte es zu einem der erfolgreichsten weit und breit. Es waren große Zeiten, das Geschäft boomte.

An Bord der „Slashfin“ warten Touristen gespannt darauf, bis sie mit dem Käfigtauchen dran sind

Quelle: picture Alliance/imageBROKER/Fabian von Poser

Bis 2016. „An einem Tag im Januar sahen wir plötzlich keine Weißen Haie mehr“, erinnert sich Chivell. Zuerst machte sich niemand Sorgen, weil es immer wieder Tage gab, an denen die Haie ausblieben. Doch auch in den folgenden Wochen und Monaten gab es kaum noch Sichtungen. Der Strom der Touristen wurde schwächer und ebbte schließlich ganz ab. „Bis heute hat er sich nicht vollkommen erholt.“

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Das Verschwinden der Haie blieb zunächst ein Rätsel. Viele Theorien kursierten. Als Alison Towner, eine britische Meeresbiologin, die seit 2006 für die von Chivell gegründete Naturschutzorganisation Dyer Island Conservation Trust (DICT) arbeitet, immer wieder an den Strand gerufen wurde, um angeschwemmte tote Weiße Haie zu untersuchen, fiel ihr auf, dass den Kadavern meist nur die nährstoffreiche Leber fehlte – ein typisches Zeichen für Orca-Attacken. Diese schrieben Towner und ihre Kollegen zwei Orca-Brüdern zu, die seit einiger Zeit immer wieder in der Bucht gesehen worden waren.

„Wir konnten nachweisen, dass die Jagd der Orcas direkt zur Abwanderung der Weißen Haie führte“, schrieb Towner in einem Artikel im „African Journal of Marine Science“. Die zunehmende Präsenz der Orcas an der Küste könnte mit der Überfischung der Beutetiere zusammenhängen, vermutete Towner.

Drohnenaufnahme zeigt Orca-Attacke auf weißen Hai

Die viel größere Bedrohung jedoch ist der Mensch, da sind sich Wissenschaftler einig: Die industrielle Befischung der Beutetiere des Weißen Hais mit Schleppnetzen und oft kilometerlangen Leinen, die Trophäenjagd durch Sportfischer und die wachsende Zahl der Badeschutznetze an Südafrikas Ostküste setzen dem Weißen Hai am Kap seit Jahren zu.

Eine Sichtung beim Tauchen im Käfig

Auf der „Slashfin“ herrscht jetzt Aufregung. Einer von Chivells Angestellten hat im Wasser etwas entdeckt. Im Käfig schaukeln acht Menschen auf und ab. Zuerst ist nur eine Welle zu sehen, dann die Flosse, dann schnappt ein Tier nach dem Köder, der an einer Leine befestigt ist. Wasser spritzt, die Kameras klicken. Jemand ruft „olé“.

Gansbaai in Südafrika: In Neoprenanzüge gehüllt warten die Gäste darauf, mit dem Käfig abzutauchen

In Neoprenanzüge gehüllt warten die Gäste darauf, mit dem Käfig abzutauchen

Quelle: picture Alliance/imageBROKER/Fabian von Poser

Sekunden später ist der Jäger auch schon wieder verschwunden. Doch im Vergleich zum bis zu sieben Meter großen Weißen Hai wirkt das drei Meter lange Tier wie ein Zwerg. „Ein Kupferhai“, sagt Skipper Dickie. Der 31-Jährige ist Chivells Sohn und selbst eine Haitauchlegende, bekannt aus zahlreichen Dokumentationen. „Immerhin etwas heute.“

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Seit der Weiße Hai in Gansbaai selten geworden ist, hat der deutlich kleinere Kupferhai die nahrungsreichen Gewässer für sich entdeckt. Und die Cage-Diving-Industrie den Kupferhai. „Die Natur füllt ein Vakuum schnell“, sagt der Skipper. „Vor einigen Jahren wäre die Idee, mit Kupferhaien zu tauchen, bei uns sehr skeptisch aufgenommen worden. Heute sind wir dankbar dafür, dass die Tiere da sind.“

Südafrika: Ein Köder hat einen Kupferhai angelockt – so gibt es für die Besucher immerhin etwas zu sehen

Ein Köder hat einen Kupferhai angelockt – so gibt es für die Besucher immerhin etwas zu sehen

Quelle: picture Alliance/imageBROKER/Fabian von Poser

Zwar hat die Gegend auch sonst enormes Potenzial. Die Gewässer gehören zu den artenreichsten der Erde. Die Großen Fünf der Meere sind hier zu Hause: Haie, verschiedene Walarten, Delfine, Robben und Pinguine. Doch ohne den Weißen Hai ist das alles nichts, das wissen auch die Chivells. Verschwindet einer der Topjäger, gerät das Ökosystem schnell aus den Fugen.

Weil der Weiße Hai kaum noch Jagd auf die Seebären von Geyser Rock macht, stieg deren Zahl auf der Insel auf 60.000 – ein Problem vor allem für den bedrohten Brillenpinguin, denn beide konkurrieren um dieselbe Beute. „Wir müssen das Überleben des Weißen Hais sicherstellen. Sein Verlust würde sich auf das gesamte Ökosystem auswirken“, sagt Wilfred Chivell.

Das Geschäft mit den Touristen ist umstritten

Zwar kritisieren Tierschützer Käfigtauchen bis heute: Es verändere das Sozialverhalten der Tiere, durch Zusammenstöße mit Booten würden immer wieder Haie verletzt – und warum überhaupt Raubfische mit Ködern anlocken?

Doch der Unternehmer ist überzeugt, dass der Tourismus den Haien hilft. „Die Einnahmen daraus sind der beste Schutz, den die Tiere haben können.“ Und sie finanzierten die Forschung. Seit 20 Jahren sammelten seine Mitarbeiter bei jeder Ausfahrt Daten. „Haitauchen ist das einzige wirksame Instrument zur Überwachung von Weißen Haien in Südafrika. Ohne unsere Daten wüssten wir nicht, wie gefährdet diese Art ist.“

Goose Bay in Südafrika

Quelle: © Openstreetmap-Mitwirkende; Infografik WELT

Chivell tritt vor die Tür. Es nieselt. Das Meer liegt immer noch spiegelglatt da. Am Horizont kommt die „Slashfin“ von der letzten Ausfahrt des Tages zurück. Immerhin: Auch die Gäste der dritten Tour konnten ein paar Kupferhaie aus nächster Nähe beobachten. Aber der Weiße Hai? Er blieb wieder aus.

Zwar habe die Natur die Fähigkeit, sich wieder zu erholen, wenn man ihr die Gelegenheit dazu gibt. Vielleicht komme der Weiße Hai auch irgendwann zurück. „Die jüngste Vergangenheit hat uns allen aber eine Lektion erteilt, aus der wir hoffentlich lernen“, sagt Chivell. Das sagt der 64-Jährige von Berufs wegen, aber auch aus Überzeugung.

Tipps und Informationen für Südafrika:

Beste Reisezeit: Für den selten gewordenen Weißen Hai von Mai bis August, für Kupferhaie und Glattwale von Juli bis Anfang Dezember. Buckelwale und Brydewale lassen sich das ganze Jahr über beobachten.

Unterkunft: Gut und preiswert in der Crayfish Lodge, crayfishlodge.com; komfortabel mit großartigem Blick über die Bucht im privaten Luxusreservat Grootbos, grootbos.com/de.

Anbieter: Käfigtauchen und Touren zu den Großen Fünf der Meere bieten zum Beispiel Marine Dynamics (sharkwatchsa.com), Great White Shark Tours (sharkcagediving.net) und White Shark Projects (whitesharkprojects.co.za) an.

Weitere Auskünfte: südafrika.net

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