Science-Fiction-Animationsfilm Herrscher der Zeit von René Laloux

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Die Science-Fiction der Achtziger liebte technoide Dystopien, deren Motive sich aus den düsteren Prognosen der Gegenwart zwischen atomarer Bedrohung und technologischem Boom speisten. Ridley Scott steckte seine Zuschauer 1982 in die sonnenlosen Häuserschluchten von „Blade Runner“, die einzig das elektrische Flackern der Werbetafeln erleuchteten und in denen Menschen ihresgleichen nicht mehr zu erkennen vermochten.

William Gibson loggte zwei Jahre darauf seine Leser mit „Neuromancer“ in einen Cyberspace ein, in dem die Autonomie angesichts einer geteilten digitalen Halluzination verkümmerte. Und Terry Gilliam inszenierte 1985 mit „Brazil“ eine kafkaeske ­Bürokratiehölle, in der Folter die Antwort auf menschliches Versagen darstellte.

Gestrandet auf dem fremden Planeten

Den düsteren Abgesängen dieser Zeit setzte der französische Regisseur René Laloux mit dem Animationsfilm „Les Maîtres du temps“ (Herrscher der Zeit) eine geradezu frech bunte und ­organische Weltraumodyssee entgegen, die sich obendrein nicht die Mühe machte, eine geradlinige Geschichte zu präsentieren. Der Film begnügt sich, Stimmungen zu erzeugen und Motive an­zureißen, während er den Zeichnungen aus der Feder Moebius‘ (unter Nicht-SF-Nerds besser bekannter als Jean Giraud) das Feld überlässt, der all den phantastischen Ideen das Gesicht gab, welche die Computertechnik der Zeit noch nicht zu visualisieren im Stande war.

Dass „Les Maîtres du temps“ (1982) dennoch ein Spross der Achtziger ist, daran besteht für den heutigen Betrachter kein Zweifel: Geraucht wird überall, auch im Raumschiffcockpit, ein andro­gyner Mann trägt rote Schlaghosen und passenden Nagellack im Stil David Bowies und Synth-Beats treiben das Geschehen durch die Anfangsszene: In einem Amphibienfahrzeug jagen Vater und Sohn durch die Wüste.

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Riesige Hornissen sind ihnen auf den Fersen. Dann folgt der Crash. Danach ist der engelsblonde Junge Piel auf einem fremdartigen Planeten namens Perdide auf sich allein gestellt. Bei sich trägt er bloß ein eier­förmiges Kommunikationsgerät, das ihn mit dem väterlichen Freund Jaffar – einem brünetten ­He-Man-Verschnitt – auf einem entfernten Raumschiff verbindet, der sich sogleich auf den Weg macht, den Jungen zu retten.

Avantgardistische Ökologie

Und das war es auch schon mit der Stringenz. Von da an tobt sich Laloux aus. Denn während nun Piel in einem bizarren Wald auf Tuchfühlung mit der traumartigen Flora und Fauna des Planeten geht, begibt sich Jaffar mit seiner Crew ohne Eile auf eine Irrfahrt durchs All. Ähnlich Laloux’ erstem Zeichentrickfilm „Der wilde Planet“ (1973) sind es die obskuren Geschöpfe und Landschaften, denen alle Magie seiner Produktion ­innewohnt. Während „Der wilde Planet“ (der im Übrigen nicht weniger sehenswert ist) als sexuell aufgeladene Absurdität daherkam, die sich im Plot dadaistisch, in der Ästhetik surrealistisch gab, ist „Les Maîtres du temps“ eine zugänglichere Spielwiese der Ideen, die immerhin einen Ansatz von Erläuterungen der Motive liefert.

So trifft die Crew entlang der Rettungsmission etwa auf einen Zirkel gesichtsloser Engelsmenschen, die Jaffar einem polychromen Blob opfern wollen, der danach trachtet, alle Lebewesen ­einander gleich zu machen. Eine originelle Extra­polation der Angst vor einem Orwellschen Überwachungsstaat, die dennoch bloß als kurze Episode angerissen ist, bevor die Crew weiterzieht und erzählerisch offene Enden liegenlässt.

Ein für die frühen Achtziger avantgardistisches Licht wirft Laloux auf die Ökologie Perdides. Während „Blade Runner“, „Neuromancer“ und „Terminator“ (1984) eine Dominanz der Technik gegenüber der Natur konstruieren, sie teils gar als vollständig gebannt betrachten, begegnet uns bei Laloux die Technologie als mickrige Krücke humaner Schwäche inmitten eines dem Menschen gegenüber gleichgültigen Ökosystems. Piel und die Lebewesen des Planeten begegnen sich als Fremde in der hegemonialen Leere eines Kosmos, der keinen Herrscher kennt. Dabei sind die Naturwesen uns grundsätzlich weit überlegen, wie die gedankenlesenden Gnome Jad und Yula zeigen, die darüber sinnieren, dass die Menschen statt der Schönheit der Dinge nur ihren Wert ­sehen. Völlig unverständlich bleibt ihnen auch, dass Menschen Alkohol trinken, um die Gesellschaft anderer zu genießen.

Einzig der japanische Animationsfilmregisseur Hayao Miyazaki hatte zu jener Zeit mit „Nausicaä im Tal der Winde“ (1984) einen ähnlich öko­optimistischen Ansatz. Zu gleicher Popularität brachte es „Les Maîtres du temps“ allerdings nie – das mag auch daran liegen, dass die Animationen über die achtundsiebzig Minuten des Films nicht wie aus einem Guss wirken: Aus Kostengründen arbeiteten unerfahrene Animationsteams daran. An einen Erfolg des Science-Fiction-Films aus Frankreich hatte keiner geglaubt. Dabei ist die kosmische Odyssee Laloux’ ein großartiges Beispiel dafür, wie die Reise zu den Sternen das ge­nuin Menschliche offenlegt.

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