„Schlag mich hart und sanft“

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Die Gegenwart des Pop ist weiblich. Das liegt auch an Billie Eilish, die auf ihrem neuen Album wieder mit Gefühlen wuchert. Hinter dem Erfolg der 22-jährigen Amerikanerin steckt allerdings ein Mann.

Billie Eilish macht kein Hehl aus gescheiterten Beziehungen.

Taylor Hill / WireImage / Getty

Es geht nicht lange, bis man mit Billie Eilish wieder weinen möchte. Es ist wie beim Zwiebelschneiden – zuerst kommt der Reiz, dann gleich die Rührung. In «Skinny», dem Opener ihres dritten Albums «Hit Me Hard And Soft», besingt die Kalifornierin ihre erste Liebe. An sich eine positive Angelegenheit, würde man meinen. Liebe macht sogar schön: Im Lied erzählt Billie Eilish in brüchig-verletzlicher Kopfstimme, dass sie damals auf alle so schlank und glücklich gewirkt habe. Was gibt es Wichtigeres?

Die Sängerin selber aber empfand die Beziehung bald als falsch – als Pose und Entfremdung. Sie wollte wieder sie selbst sein, die Beziehung scheiterte. Und so geht es im Song nicht lange, bis sich Verdruss und Melancholie der ersten Strophe in Tränen des Refrains entladen: «I still cry, I still cry», klagt Billie Eilish. Die letzte Silbe dehnt sie dabei so innig, dass es einem beim Zuhören eng wird ums Herz und man geniesserisch mitleidet.

Schwerfälliger als die Vorgänger

«Skinny» gibt einem die Gewissheit, dass die erst 22-Jährige auch auf dem dritten Album wieder ihre elektrisierende Expressivität entfalten kann – auch wenn sich das Album insgesamt als etwas schwerfälliger als die Vorgänger herausstellt. Die Musik hat wie immer Billies Bruder Finneas produziert, der sich in besten Momenten durch sein gelassenes Timing und Prägnanz profiliert. In «Skinny» etwa prägt er mit warmen, gemächlichen Gitarrenfiguren einen Sound, der dem Gesang viel Raum und Zeit überlässt. Am Schluss aber läuft der Song in eine schillernde Coda mit überraschendem Streichquartett-Arrangement.

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Tatsächlich liegt es an der Kongenialität der Geschwister, dass sich Billie Eilish seit ihrem Debütalbum «When We All Fall Asleep, Where Do We Go» (2019) als eigenständige und unvergleichliche Sängerin behaupten kann. Finneas O’Connell – selbst übrigens ein ziemlich mediokrer Sänger, der bisweilen im Vorprogramm von Billie Eilish dilettiert – hat sein Songwriter-Potenzial weitgehend in den Dienst der Schwester gestellt. Fast scheint seine Unterwürfigkeit exemplarisch in einer Zeit, in welcher der Pop von Frauen beherrscht wird.

Für einen kurzen, triumphalen Nemo-Moment hätte man jüngst ja meinen können, die Pop-Musik sei nun nonbinär. Vielleicht ist die Zukunft nonbinär, die Gegenwart jedoch ist weiblich. Überall Frauen. Frauen im R’n’B, Frauen im Soul, Frauen im Rock, Frauen im Country und auch im Hip-Hop immer mehr Frauen. Im angelsächsischen Pop gilt das vor allem für den sogenannten Mainstream – für jene Zone also, zu der alle ohne jede Nischenkompetenz oder Minderheitsbonus Zugang haben.

Während sich die Männer auf Metal, Rap oder Minimal Techno konzentrieren, bilden im Pop die Billie Eilishs, Beyoncés, Taylor Swifts, Shakiras, Ariane Grandes, Adeles, Selena Gomez, Miley Cyrus, Dua Lipas, Doja Cats, Lizzos und viele andere mehr eine erstaunliche Phalanx. Noch vor jedem expliziten Feminismus schafft diese eine weibliche Dominanz.

Der Mainstream gilt zwar als übel beleumdetes Gewässer, weil er oft für Konformismus steht. Der weibliche Pop aber klingt heute mitnichten wie ein eintöniger Chor, er hat sich aufgefächert in sehr unterschiedliche Stimmen. Wo aber die Männer gerne blufften oder warben, verfallen die Frauen regelmässig in elegische Klagen – über untreue, schwache oder übergriffige Männer. Zumindest gilt das für Taylor Swift und für das neue Album von Bille Eilish.

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Eine nervöse Sängerin

Während Swift zumeist auf Klischees aus Folk und der Singer/Songwriter-Tradition zurückgreift, ist die musikalische Einordnung von Billie Eilish schwieriger. Ihr Bruder Finneas lässt sich eben von allen Seiten inspirieren, man erkennt Anklänge aus Rock, Bossa nova ebenso wie aus Electro-Pop und Trap. Aber es gelingt ihm, die Einflüsse zu komprimieren, Klänge maximal zu reduzieren, um sie in eine abwechslungsreiche Melodramatik einzupassen.

Die changierenden Klangbilder entsprechen dem facettenreichen Gesang der Schwester. Für sie nehmen sich die Songs aus wie Prismen, an denen sich die Stimme unterschiedlich bricht. Die Hauptmelodie wird stets von weiteren Gesangslinien begleitet und überlagert. Man könnte das als musikalische Spielerei missverstehen. Aber bei Billie Eilish hat die künstlich produzierte Mehrstimmigkeit einen künstlerischen Sinn.

Das Cover zum neuen Billie-Eilish-Album «Hit Me Hard and Soft».

Das Cover zum neuen Billie-Eilish-Album «Hit Me Hard and Soft».

AP

Zum einen entspricht sie dem nervösen Wesen der Sängerin, ihrer Unsicherheit und Skepsis. Das Erarbeiten der neuen Songs sei mit Qualen und Anstrengungen verbunden gewesen, hat sie in Interviews verlautet. So wie sie Gefühle stets anzweifelt – eigene wie fremde –, tendiert sie offenbar auch dazu, jedes gesangliche Motiv zu differenzieren oder durch ein weiteres zu kontrastieren. Ihr neues Repertoire grenzt meist an die Leeseite von Dramen oder Traumata. Und wenn der Gesang sich im Seufzen, Wispern, Klagen vernehmen lässt, wirkt er wie eine musikalische Übersetzung eines reinigenden Schluchzens und Weinens.

Die kaleidoskopischen Klangbilder passen andrerseits auch zur schwankenden Identität der Sängerin. In den ersten Jahren des Erfolgs hat sich Billie Eilish live als kindlicher, scheinbar geschlechtsloser Tomboy in weiten Pullovern und Pluderhosen in Szene gesetzt. Für das zweite Album «Happier Than Ever» (2021) präsentierte sie sich dann als elegante, blonde Diva. Auf dem Cover zu «Hit Me Hard And Soft» aber schwimmt die Sängerin, die unterdessen ihre Bisexualität öffentlich gemacht hat, wie ein schweres Amphibium in dunklem Wasser. Solche Wechselfälle widersprechen den üblichen Promotionsstrategien im Pop, die zumeist auf glamourösere Effekte zielen. Image und Inszenierung aber unterläuft Billie Eilish absichtlich – auch in Interviews, wo sie gerne vom Furzen spricht oder von Masturbation. Offenbar sind das Authentizitätssignale, die ihre Ehrlichkeit und Direktheit unterstreichen sollen.

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Vielfaches Scheitern

Auf «Hit Me Hard And Soft» zeigt sich das wiederum in unverblümten Kommentaren zu Liebesbeziehungen, die entweder scheitern oder nur Bluff sind. In «Lunch» immerhin gibt sich Billie Eilish lebenshungrig, wenn sie über einem federnden Funk-Bass singt: «I could eat that girl.» Sonst sind ihre elegischen Geständnisse oft verheerend. «Things fall apart, time breaks your heart», heisst es in «Wildflower», einem Song über eine Dreiecksbeziehung. «You were so mediocre and we’re so glad it’s over», bekennt sie dem Ex in «L’amour de ma vie». «All my love and patience, unappreciated» – all meine Liebe und meine Geduld waren vergebens, klagt sie in «The Greatest».

«The Greatest» ist tatsächlich der Höhepunkt des Albums, was wiederum ebenso viel mit Finneas zu tun hat wie mit Billie Eilish. Während der Produzent den Sound sonst etwas üppiger gemischt hat als früher, hat er die Begleitung hier zunächst auf sparsame Gitarrenklänge beschränkt. So baut sich eine Spannung auf, die Billies sensiblen Gesang über einen weiten Bogen trägt – direkt in unsere Seele.

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