ICHn der Biologie ist es recht einfach: Lebewesen siedeln sich immer dort an, wo sie gute Bedingungen finden, wo es ausreichend Nahrung gibt und angenehme Temperaturen herrschen. Der Mensch macht hier keine Ausnahme, zumindest weitgehend: Deshalb leben die meisten Menschen in Regionen mit einer Jahresdurchschnittstemperatur zwischen sechs und 28 Grad Celsius – in ihrer Klima-Nische. Aber mit dem Klimawandel werden diese sogenannten Nischen weniger werden. Menschen werden dort leben müssen, wo es viel zu heiß und zu trocken ist, in Zonen, die als „fast unbewohnbar“ gelten. Eben: außerhalb der Klima-Nische.
Wissenschaftler wollen dieses Konzept der Klima-Nische nun nutzen, um der Allgemeinheit die Folgen der Klimaerwärmung plastischer vor Augen zu führen, als es bei bisherigen Darstellungen der Fall ist, die die ökonomischen Kosten in den Vordergrund stellen.
In einer nun im Fachjournal „Nature Sustainability“ erschienenen Studie hat ein internationales Forscherteam um Timothy M. Lenton von der University of Exeter und Marten Scheffer von der University of Wageningen berechnet, der Lebensraum wie vieler Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts aus der Klima-Nische herausfällt. „Bislang leben bereits neun Prozent und damit über 600 Millionen Menschen außerhalb dieser Nische“, schreiben die Autoren. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte es ein Drittel der Menschheit sein. Zumindest dann, wenn die derzeitige Klimapolitik sich nicht drastisch ändern würde – und somit eine globale Erwärmung von 2,7 Grad Celsius erreicht würde. Gelänge es, die Erwärmung auf nur 1,5 Grad Celsius zu beschränken, müssten hingegen Ende des Jahrhunderts nur 14 Prozent aller Menschen außerhalb der Klima-Nische leben.
Die Wissenschaftler gehen von einer weltweiten demographischen Zunahme auf bis zu 9,5 Milliarden Menschen im Jahr 2070 mit anschließendem Rückgang aus. Sie bewegen sich damit in einem mittleren Szenario. Vor in Nigeria, Indien und Indonesien werden laut der Berechnung viele Menschen aus der Klima-Nische herausrutschen. In Burkina Faso, Mali und Qatar würden besonders große Flächen fast unbewohnbar.
Das Team um Lenton betont in der Studie auch, dass je 0,3 Grad Celsius vermiedener Temperaturerhöhung 350 Millionen Menschen weniger in Regionen jenseits der Klima-Nische leben müssten.
Lisa Schipper, die an der Universität Bonn zur Entwicklungsgeographie forscht und nicht an der Studie beteiligt war, sagt gegenüber dem Science Media Center, dass das Konzept der menschlichen Klima-Nische „äußerst nützlich“ sei. Zwar werde keine Metrik, auch die der aktuellen Studie nicht, die Realität genau widerspiegeln. „Die Vorstellung, dass immer weniger Menschen in der Lage sein werden, ein menschenwürdiges Leben zu führen, steht in direktem Zusammenhang mit der Warnung des IPCC, dass sich das Zeitfenster für die Sicherung eines nachhaltigen und lebenswerten Lebens für alle Menschen schließt“, sagt sie. „Selbst bei 1,5 Grad Erwärmung ist dies wahrscheinlich nicht möglich, wie die Autoren der aktuellen Studie zeigen.“
Auch Christian Franzke vom IBS Center for Climate Physics an der Pusan National University in Südkorea findet das Konzept der Klima-Nische sinnvoll. „Die ‚human climate niche‘ ist natürlich eine Vereinfachung der Komplexität des Problems, aber sie ist anschaulich und zeigt die Auswirkungen für arme Länder an, die bei ökonomischen Maßen geringere Schäden haben werden, da sie arm sind. Das ist der Vorteil dieses Ansatzes.“
Wie viel Migration wird nötig?
Bisherige Studien hätten sich entweder vor allem auf ökonomische Kosten des Klimawandels fokussiert oder auf die Sterblichkeit. Die aktuelle Studie nutze Demographie-Projektionen, die eine wachsende Population vor allem in schon warmen Gebieten annimmt. Vor allem diese Regionen seien stark betroffen, hätten aber weniger Möglichkeiten, sich anzupassen. „Eine Anpassung ist möglich, aber diese wird Geld kosten, das arme Länder und arme Menschen nicht haben.“ So finde zum Beispiel in entwickelten Ländern wie Deutschland die meiste Arbeit in Gebäuden statt, die man kühlen könne, in vielen Entwicklungsländern sei dies aber nicht der Fall. Dort würde viel draußen gearbeitet. „Man könnte die Arbeitszeiten ändern und mittags eine Siesta einführen wie in Spanien, aber damit wird man wohl nicht die gesamte Arbeitsproduktivität erhalten können.“
Richard J. T. Klein vom Team International Climate Risk and Adaptation am Stockholm Environment Institute (SEI) in Schweden bemängelt, dass die Studie nicht berücksichtige, dass Lebensräume auch unbewohnbar werden könnten, obwohl die Temperaturen noch erträglich seien. „Zum Beispiel können Dürre und Wüstenbildung bereits innerhalb der Klima-Nische auftreten und die Landwirtschaft nahezu unmöglich und die Region damit unbewohnbar machen. Das Gleiche gilt für niedrig gelegene Gebiete, die von Überschwemmungen und dem Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind. Mit anderen Worten: Es gibt Regionen innerhalb der menschlichen Klima-Nische, die aus anderen Gründen unbewohnbar werden könnten.“
Auch er hebt aber positiv hervor, dass das Konzept der Klima-Nische verdeutliche, wie unterschiedlich sich die Klimaerwärmung in reichen und armen Ländern auswirke. Anpassen können sich die Menschen an vieles, aber eben nur, wenn genügend Ressourcen vorhanden sind. „Für viele der betroffenen Menschen und Länder ist dies jedoch keine Option“, sagt Klein. „Die Frage ist also, was diese Menschen tun werden. An kühlere Orte ziehen? Welche Orte sind das, und welche Möglichkeiten werden sie dort haben? Könnte das zu Konflikten um knappe Ressourcen führen?
Die Studie sei allerdings kein Anlass für Panik, so Klein. Steigende Temperaturen erhöhen das Risiko für eine steigende Zahl an Klimaflüchtlingen. „Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass die weitaus meisten Klimaflüchtlinge innerhalb ihres Landes oder in Nachbarländer umgezogen sind.“ Es werde immer wichtiger, „die Menschen vor Ort zu unterstützen und die weitere Erwärmung dringend zu begrenzen“.