Russische Behörden gehen gegen Wagner-Chef Prigoschin vor

Schon seit Monaten liegen der Chef der privaten Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und das russische Militär miteinander im Konflikt. Nun spitzen sich die Streitigkeiten deutlich zu. In der Nacht auf Samstag nahmen die russischen Behörden Strafermittlungen gegen Prigoschin auf – wegen eines Aufrufs zum Militärputsch.

Dabei gehe es um die Drohung Prigoschins, Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu stürzen, erklärte das russische nationale Antiterror-Komitee am Freitag. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, es würden alle notwendigen Schritte unternommen. Präsident Wladimir Putin sei über die Lage informiert. Das Verteidigungsministerium, der russische Geheimdienst FSB, das Innenministerium und die Nationalgarde informierten Putin rund um die Uhr über die Maßnahmen im Land nach dem „versuchten bewaffneten Aufstand“, so Peskow russischen Medienberichten zufolge.

Zuvor hatte Prigoschin Schoigu vorgeworfen, einen Raketenangriff auf ein Feldlager seiner Söldnertruppe befohlen zu haben. Dabei habe es eine große Zahl von Opfern gegeben. Das Verteidigungsministerium wies die Vorwürfe zurück. Die Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig bestätigen. Dem 61-Jährigen drohen laut Generalstaatsanwaltschaft zwischen 12 und 20 Jahren Freiheitsstrafe.

Prigoschin sagte, Wagner-Kämpfer seien zu einem Einsatz gegen die für den Angriff verantwortlichen Befehlshaber ausgerückt. Er forderte die Armee auf, keinen Widerstand zu leisten. „Wir werden diejenigen, die versuchen, sich uns zu widersetzen, als Bedrohung betrachten und sie sofort vernichten“, kündigte Prigoschin an. Jeder Kontrollpunkt, der sich widersetze, werde unter Feuer genommen. Angreifende Flugzeuge würden abgeschossen.

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Nach eigenen Angaben überquerte Prigoschin mit seinen Söldnern in der Nacht auf Samstag bereite die Grenze von der Ukraine nach Russland. In einer auf  Telegram veröffentlichten Audioaufnahme sagte der Wagner-Chef, sie hätten die südrussische Stadt Rostow erreicht, wo sich Schoigu befinde, und seien bereit, „bis zum Äußersten” gegen das russische Militär vorzugehen. Rostow am Don liegt weniger als 70 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt in Russland. Der Gouverneur der Stadt rief die Bevölkerung auf, zuhause zu bleiben.

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Putschdrohung richtet sich nur gegen Verteidigungsminister

Damit richtet sich Prigoschins Putschdrohung gegen den Verteidigungsminister. „Das Böse, das die militärische Führung des Landes im Sinn hat, muss gestoppt werden“, sagte Prigoschin in einer aufgezeichneten Erklärung. Seine Truppe sei nicht darauf aus, Putin herauszufordern. „Wir werden mit denen, die russische Soldaten vernichten, aufräumen und dann an die Front zurückkehren“, versicherte er. „Die Gerechtigkeit in den Streitkräften wird wiederhergestellt werden, und dann wird die Gerechtigkeit in ganz Russland wiederhergestellt werden.“

Erst kurz zuvor hatte Prigoschin öffentlich die Grundlage für Russlands Krieg gegen die Ukraine angezweifelt. Außerdem hatte er der Militärführung unter Verteidigungsminister Schoigu und dem Generalstabschef Waleri Gerassimow wiederholt Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden persönlich für Niederlagen in dem Krieg verantwortlich gemacht.

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Verschiedene russische Politiker scheinen beunruhigt ob der Entwicklung. So schreib beispielsweise der von Russland eingesetzte Gouverneur von Sewastopol auf der Krim, Michail Rasoschajew, in seinem Telegramkanal: „Wie viele von Ihnen schlafe ich nicht, sondern aktualisiere den Newsfeed“. Er appellierte, nun an das Land und an den Präsidenten zu glauben.

Die russische Politikanalystin Tatjana Stanowaja hingegen, die am Carnegie-Zentrum für Russland und Eurasien forscht, schrieb, bisher gebe es keine überzeugenden Beweise dafür, dass ein Anschlag auf Wagner-Soldaten verübt worden sei und Prigoschin irgendwo Truppen anführen würde. Allerdings handele es sich um einen „Feiertag“ für den FSB und den Generalstab, da Progoschin endlich abgestraft würde. Der Vorgang sei „eine Demontage von Wagner“.

„Viele an der Macht freuen sich jetzt über das Ende von Wagner“

Prigoschins Verhältnis zu Präsident Wladimir Putin galt lange als eng, aktuelle Details zur Beziehung wurden in jüngster Zeit aber nicht mehr bekannt. Stanowaja betont, Prigoschin habe in letzter Zeit keinen direkten Zugang zu Putin gehabt, doch „die Verdienste im Krieg verstärkten sein Gefühl der Exklusivität und des Privilegs“, so Stanovaja. Wagner-Söldner waren beispielsweise maßgeblich an der Schlacht um Bachmut beteiligt. Selbst der loyalste und vom Kreml abhängige Akteur könne das Augenmaß verlieren, so Stanowaja.

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„Viele an der Macht freuen sich jetzt über das Ende von Wagner“, schreibt Stanowaja. Allerdings sei „die ganze Geschichte“ zugleich „auch ein Schlag für Putins Position, wie Stanowaja analysiert, da viele Menschen innerhalb der Elite Putin persönlich dafür verantwortlichen machen würden, dass es „soweit gekommen“ sei.

Zugleich wird bereits debattiert, welche Auswirkungen die Russland-interne Entwicklung für den Verlauf des Krieges gegen die Ukraine haben könnte. Der russische Armeegeneral Sergej Surowikin, der zudem Vizechef des russischen Generalstabs ist, rief Prigoschin in einer Videobotschaft dazu auf, den Machtkampf zu beenden. „Der Gegner wartet nur darauf, bis sich bei uns die innenpolitische Lage zuspitzt“, sagte Surowikin, der eigentlich als Verbündeter Prigoschins gilt, am Freitagabend. Man dürfe dem Gegner nicht „in die Hände spielen – in dieser für das Land schweren Zeit“, sagte Surowikin.

Russischen Medienberichten zufolge begannen die in Russland beliebten Webseiten VKontakte und und Yandex, Informationen im Zusammenhang mit Prigoschin zu blockieren.

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