Polizeigesuchter Guru gründet Fake-Staat – und täuscht damit sogar die UN

Der selbst ernannte Guru Nithyananda wird in Indien wegen Vergewaltigung und Missbrauch von Kindern von der Polizei gesucht. Er gründet daraufhin einen eigenen Staat, den es aber nicht gibt. Mehrere US-Städte fallen darauf herein – und eine selbst ernannte Botschafterin spricht bei den Vereinten Nationen.

Vijayapriya Nithyananda trägt ihre dunklen Haare wie einen Turban, hat goldenen Schmuck auf der Stirn, goldene Ketten um den Hals und trägt braun-orangene Gewänder. Sie sagt, sie vertrete als “ständige Botschafterin” die “Vereinigten Staaten von Kailasa”, der “erste souveräne Staat für Hindus”. Sie spricht am 24. Februar dieses Jahres in Genf bei einer Veranstaltung der Vereinten Nationen, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zum Thema hat.

Es gibt nur einen Haken: Die “Vereinigten Staaten von Kailasa” gibt es gar nicht. Dennoch konnten “Vertreter” dieses “Staates” vor den Vereinten Nationen sprechen und Städte in den USA und in aller Welt haben sich ebenfalls von “Kailasa” täuschen lassen. Die Rede bei der UN-Veranstaltung machte in Indien Schlagzeilen und warf die Frage auf: Wie konnte es dazu kommen?

Gegründet wurde dieser ominöse Staat von Vijayapriya Nithyanandas Anführer, der auch denselben Nachnamen trägt wie sie: Bhagavan Sri Nithyananda Paramashivam. Er behauptet, er könne Kühe und Affen zum Sprechen bringen, Blinde heilen und den Sonnenaufgang verzögern.

Nithyananda werden mehrere Straftaten zur Last gelegt

Er sei der “Avatar des Hinduismus und ein Oberster Papst des Hinduismus”. Nithyananda habe “die Wissenschaft der Machtmanifestation, des Yoga und der tempelgestützten Universitäten für die Menschheit geschaffen”, heißt es unbescheiden auf der Internetseite von “Kailasa”.

Sein richtiger Name ist A. Rajashekharan; laut einem Medienbericht wurde er am 1. Januar 1978 geboren. In den frühen 2000er-Jahren habe er einen Ashram in der Nähe von Bengaluru eröffnet, so die Nachrichtenseite “Outlook India”.

Das alles klingt nach Spiritualität, nach Frömmigkeit. Doch Nithyananda wird wegen mehrerer mutmaßlicher Verbrechen von der Polizei und auch von Interpol gesucht.

Er wird der Vergewaltigung und des Missbrauchs an Kindern beschuldigt, soll im indischen Bundesstaat Gujarat Kinder entführt haben. Auch eine Ermittlung französischer Behörden wurde laut Berichten eingeleitet – wegen mutmaßlichen Betrugs.

“Kailasa” will tritt im Internet als eigener Staat auf

Bereits 2010 wurde er wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung kurzzeitig inhaftiert. Das Verfahren wurde immer wieder hinausgezögert, Nithyananda erschien nie vor Gericht. Später wurde er auch in einem anderen Fall von Vergewaltigung verhaftet und angeklagt.

Im Jahr 2019 spitzten sich die Vorwürfe erneut zu: Eine seiner Anhängerinnen beschuldigte ihn der Vergewaltigung; zwei Verwalterinnen einer seiner Tempel wurden wegen angeblichen Missbrauchs von Kindern verhaftet. Noch im selben Jahr floh er aus Indien und gründete seinen “Staat”. Erstaunlich: Sein Reisepass war längst abgelaufen, berichteten Medien.

Seitdem wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.

Glaubt man den Angaben der Internetseite des angeblichen Staates, ist “Kailasa” “die Neuauflage der alten aufgeklärten Hindu-Zivilisationsnation, die von vertriebenen Hindus aus aller Welt wiederbelebt wird”. Eine Flagge, Verfassung und Nationalhymne finden sich auf diesem Internetauftritt. Es soll verschiedene Ministerien geben, ebenso eine Zentralbank. Auf der Webseite wird auch behauptet in “Kailasa” liege die größte Universität der Welt. Wer möchte, kann sogar eine elektronische Staatsbürgerschaft beantragen.

Kaum jemand weiß, wo Nithyananda steckt

Doch wo genau die “Vereinigten Staaten von Kailasa” geografisch liegen, darüber gibt es keine Angaben. Ebenso wenig weiß man, wo sich dessen Gründer aufhält. Es gab Berichte, dass er auf einer Insel vor der Küste Ecuadors lebe. Die dortige Regierung widersprach allerdings. Nithyananda halte sich nicht in Ecuador auf, ein Antrag auf Asyl sei abgelehnt worden. Andere vermuteten, er halte sich in Nepal auf.

Obwohl die Vereinten Nationen die “Vereinigten Staaten von Kailasa” nicht anerkennen, sprach die selbst ernannte Botschafterin der Fake-Nation bei einer Veranstaltung des Staatenbundes.

Wie war das möglich?

Vivian Kwok, Pressesprecherin im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, erklärte der britischen BBC, dass diese Diskussionsveranstaltungen öffentlich seien. Die Äußerungen und eingereichten Dokumente von “Kailasa” würden aber nicht berücksichtigt. Sie seien “irrelevant” und hätten nichts mit den Themen zu tun, über die gesprochen wurde.

Vijayapriya Nithyananda bei einer Veranstaltung der Vereinten Nationen in Genf am 24. Februar

Vijayapriya Nithyananda bei einer Veranstaltung der Vereinten Nationen in Genf am 24. Februar

© Bildschirmfoto UN-TV

Die Rede bei den Vereinten Nationen ist aber nur die Spitze des Eisbergs der “diplomatischen Aktivitäten” des Fake-Staats: Im vergangenen Jahr luden zwei konservative Abgeordnete des britischen Hose of Lords einen “Repräsentanten” des fiktiven Landes zu einer Party anlässlich des hinduistischen Diwali-Festes ein, wie der “Guardian” berichtete.

US-Stadt Newark fällt auf fiktiven Staat rein

“Kailasa” veröffentlichte sogar ein angebliches Grußwort des kanadischen Premierministers Justin Trudeau. Ob es echt ist, konnte zunächst nicht geprüft werden; eine Anfrage des Stern diesbezüglich an das Büro des Premierministers blieb zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unbeantwortet. Auf der Internetseite des Premierministers findet sich kein solches Grußwort.

Auch mehrere Städte in den USA sind auf den falschen Staat hereingefallen. 30 Städte seien Partnerschaften mit “Kailasa” eingegangen, berichtete der US-Sender Fox News.

Eine der betroffenen Städte ist Newark im Bundesstaat New Jersey. Wie die Zeitung “New York Post” berichtete, hatte die Stadt im Januar dieses Jahres “Delegierte” aus “Kailasa” eingeladen und einen Partnerschaftsvertrag unterzeichnet.

Kurz darauf erkannte Newark aber, mit wem man es zu tun hatte. Beamte der Stadt erklärten, die Vereinbarung habe nur sechs Tage gedauert und sei darauf für “grundlos und ungültig” erklärt worden. “Das ist ein Versehen, das nicht mehr passieren darf”, sagte Stadtrat Luis Quintana dem Sender CBS. Die Stadt hatte sich blamiert. Kritiker warfen den Stadtbeamten vor, dass die Blamage mit einer einfach Internetrecherche hätte vermieden werden können.

“Kailasa” macht sich Proklamationen von US-Städten zu nutze

Es ist aber nicht nur Newark: Tatsächlich zeigt die Internetseite des fiktiven Staates mehrere angebliche Urkunden, die Beziehungen mit mehreren US-Städten belegen sollen. Darunter befinden sich Concord in North Carolina, Buena Park in Kalifornien und Delaware in Ohio.

“Höchstwahrscheinlich will er (Nithyananda) seinen Bekanntheitsgrad in den Vereinigten Staaten erhöhen, um Menschen zu rekrutieren”, sagte der Sektenexperte Rick Alan Ross gegenüber der “NY Post”.

Und nicht nur Städte befinden sich darunter, sondern auch US-Kongressabgeordnete, wie die Zeitung weiter berichtete. Norma Torres, eine kalifornische Kongressabgeordnete, habe “Kailasa” und ihren selbst ernannten Anführer anerkannt.

Über ihren Sprecher teilte sie der “Post” mit: “Die Urkunde (für die besondere Anerkennung durch den Kongress) wurde einer örtlichen Gemeinde von einem ehemaligen Mitarbeiter überreicht. Als wir von den sehr ernsten und glaubwürdigen Anschuldigungen gegen ihren Leiter erfuhren, hat unser Büro die Urkunde umgehend zurückgerufen.”

Die Anhänger von Nithyananda nutzten dabei aus, dass die meisten Städte und Regierungsstellen bei der Vergabe von sogenannten Proklamationen, zum Beispiel für Feier- oder Gedenktage, ziemlich liberal seien, so das Magazin “Intelligencer”.

Im Jahr 2021 etwa unterzeichnete der Bürgermeister von Fall River, Massachusetts, eine Proklamation zur Einführung eines “Kailasa-Tages” am 3. Januar 2022 – wobei der Text des Schreibens weitgehend von den “Kailasa”-Anhängern selbst verfasst wurde, schreibt “Intelligencer” weiter. “In den meisten Fällen wird den Anfragen entsprochen”, sagte eine Sprecherin des dortigen Bürgermeisteramtes. Diese Dokumente seien nicht bindend. Auf der Internetseite von Fall River kann sogar jeder eine Proklamation beantragen.

“Kailasa” streitet Betrügereien ab

Die “UN-Botschafterin” Vijayapriya Nithyananda wehrte sich in einem Video auf Twitter gegen Vorwürfe. “Kailasa” und seine “Repräsentanten” hätten niemanden betrogen und “Kailasa” sei auch nicht fiktiv.

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“Unsere Städtepartnerschaften wollen humanitäre Hilfe und weltweiten Frieden durch das bessere Verständnis für andere Kulturen fördern. Organisationen, die Kailasa repräsentieren, haben Partnerschaften mit großen Städten in der ganzen Welt geschaffen.”

Man hoffe, dass die “unabhängige westliche Presse” nicht auf “falsche Narrative von unseren Verrätern” hereinfalle.

Nithyananda: “Kein dummes Gericht kann mich belangen”

Und auch der “oberste Papst des Hinduismus”, Nithyananda selbst, will von Schuld nichts wissen. Die Vorwürfe der Vergewaltigung seien “absolut falsch” und er sei ein Opfer von Verfolgung, heißt es in einem seiner Tweets. US-Gerichte hätten ihn freigesprochen und die Polizei ihre Ermittlungen eingestellt. Als Beweise hängt Nithyananda mehrere Links an – die aber alle zu nicht funktionierenden Internetseiten führen, einige davon gehören zu der Homepage von “Kailasa”.

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Obwohl Verfahren gegen ihn laufen und die Polizei nach ihm sucht: Nithyananda hält sich für unantastbar. In einem Video, das Ende 2019 in sozialen Netzwerken die Runde machte, sagte er: “Kein dummes Gericht kann mich für die Enthüllung der Wahrheit belangen.”

Solange die Behörden nicht wissen, wo er steckt, und solange er viele Anhänger weltweit hat, die ihm Geld geben, dürfte es auch so bleiben, meint Dr. Robert Bunker, Direktor für Forschung und Analyse bei der Sicherheitsberatung C/O Futures, LLC.

“Da Sektenführer in der Regel den Reichtum ihrer Anhänger aussaugen, häufen sie große Kriegskassen an, mit denen sie in Immobilien und Unternehmen investieren und auch Beamte in weniger entwickelten Ländern bestechen”, sagte er dem Magazin “Daily Beast”.

“Ich habe keinen Zweifel daran, dass Scheinfirmen benutzt, Reisedokumente gefälscht und sichere Häuser eingerichtet werden, um ihn zu schützen.”

Weitere Quellen: „The Hindustan Times“, „Deccan Herald“, „Times of India“, „India Times“, „Outlook India“, NDTV, „India Today“, india.com, „Republic“, „The News Minute“, „The Week“, „The Indian Express“, „The Siasat Daily“, „National Herald“, „The Telegraph“, „The Herald News“

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