Nachhaltigkeit: „Bis jetzt sind keine Klimaaktivisten unter meinen Kunden“

Freiburg genießt unter Klimaaktivisten einen guten Ruf; in der baden-württembergischen Stadt ist das Fahrrad bereits das dominierende Verkehrsmittel. Dass dort nun das offiziell erste „Grüne Reisebüro“ eröffnet hat, ist denn auch kein Zufall, „sondern der umweltfreundlichen Kundenstruktur der Stadt geschuldet“, sagt Andreas Kindlimann, der das Unternehmen leitet.

QUADDEL: Ihr Reisebüro ist über und über mit Blumentöpfen dekoriert, sind die echt oder aus Plastik?

Andreas Kindlimann: Was für eine Frage, die sind natürlich echt! Ich habe bei der Auswahl darauf geachtet, dass die Pflanzen niedrige Raumtemperaturen von 18 bis 19 Grad und eine Mischung aus Tages- und Kunstlicht vertragen.

QUADDEL: Also noch kein welkes Blatt in Ihrer Dekoration?

Lesen Sie auch

Kindlimann: Unsere Deko, wie Sie sagen, besteht aus Geigenfeige, Korbmarante, Kolbenfaden, Bogenhanf, Palmlilie, Goldfruchtpalme, Elefantenohr, Schusterpalme – und die Pflanzen sind so grün und frisch wie am Tag unserer Eröffnung vor wenigen Wochen. Durch den Mix aus Grünpflanzen und gebrauchten Möbeln wird jedem Besucher sofort klar, dass wir kein normales Reisebüro sind. Konsequenterweise verzichten wir auch auf gedruckte Kataloge und Papier. Unsere Kunden finden das gut, einige kommen sogar eigens wegen unseres speziellen Angebots aus der Schweiz angereist.

QUADDEL: Ihr spezielles Angebot sind nachhaltige Reisen, schränkt Sie das mit Blick auf potenzielle Kunden nicht sehr ein?

Kindlimann: Nein, überhaupt nicht. Nachhaltige Reisen gibt es bei uns für so ziemlich jede Zielgruppe: für Paare, für Singles, für Best-Ager, für Familien mit Kindern.

QUADDEL: Familien mit Kindern? Studien zufolge scheut gerade diese Zielgruppe aus Kostengründen das Thema Nachhaltigkeit wie der Teufel das Weihwasser.

Kindlimann: Eine Familie mit Kindern haben wir hier in den ersten Tagen seit der Eröffnung unseres Grünen Reisebüros tatsächlich noch nicht gesehen. Das wird sich aber sicher noch ändern. Gerade kleine und mittlere Reiseveranstalter, von denen wir sehr viele im Sortiment haben, bieten für Familien nachhaltige und gleichzeitig spannende Angebote, auf die man ohne Beratung im Reisebüro oder mit Internetrecherche wahrscheinlich gar nicht kommen würde.

QUADDEL: Zum Beispiel?

Kindlimann: Ich denke da an entspanntes Radfahren entlang der Mur im österreichischen Lungau, an Familiensegeln auf Korfu, an ein Familiencamp mit Wassersportaktivitäten an der Loire, an eine Familienreise mit Outdoor-Abenteuer ins Finnische Schärenmeer oder – etwas weiter weg – an einen Workshop in Ghana mit Tanzen, Trommeln, Singen und Xylophon.

QUADDEL: Muss man für solche Reisen, noch dazu, wenn sie nachhaltig kompensiert sind, nicht deutlich tiefer in die Geldbörse greifen?

Lesen Sie auch  „Die Leute, die zu kritisch sind, sind rausgekommen…“: Nach der Affäre sperrt Adrien Quatennens das Insoumis du Nord

Kindlimann: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Grüne Reisen müssen nicht zwangsläufig teurer sein, oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Nachhaltig geführte Hotels beispielsweise verbrauchen weniger Strom und Wasser, haben also geringere Kosten. Ich zitiere jetzt mal aus der Studie „Green Travel Transformation“ der Leuphana Universität Lüneburg, in der es heißt, dass ein nachhaltiges Hotelmanagement zumeist mit besserem Essen, schöneren Gärten, freundlicherem Personal und überdurchschnittlicher Servicequalität einhergeht.

QUADDEL: Könnten Sie mal eine Beispielrechnung aufmachen? Wie viel müsste eine vierköpfige Familie, die auf Kreta zwei Wochen Sommerurlaub machen will, Pi mal Daumen draufzahlen, wenn der Griechenland-Urlaub nachhaltig sein soll?

Kindlimann: Das kann ich in Prozent nicht sagen, weil eine solche Rechnung zu viele Variable hat. Ich kann aber garantieren, dass wir für die Familie ein passendes Hotel finden würden, das günstiger ist als ein vergleichbares, nicht nachhaltiges Hotel. Und soll auch die Flugreise nachhaltig sein, suchen wir die klima-effizienteste Airline für diese Strecke heraus und berechnen die Kompensation.

QUADDEL: Es gibt verschiedene CO₂-Kompensationsprogramme, welche bieten Sie an?

Kindlimann: Wir bieten die Kompensationsprojekte von Atmosfair an. Die Arbeit der gemeinnützigen Klimaschutzorganisation wird transparent geführt und erhält in Tests und Studien regelmäßig die höchsten Wertungen.

QUADDEL: Und wenn der Beispielfamilie mit zwei Kindern die Kompensation für den Griechenland-Flug zu teuer ist?

Kindlimann: Dann würden wir eine Airline empfehlen, die besonders auf Klimaeffizienz achtet. Faktoren wie Flugzeugtyp und -alter, Bestuhlung, Winglets, Flughöhe und Rückenwind – all das beeinflusst die Klimaeffizienz. Der Atmosfair Airline Index liefert dazu eine fundierte Übersicht.

Andreas Kindlimann leitet das Grüne Reisebüro in Freiburg

Andreas Kindlimann leitet das Grüne Reisebüro in Freiburg

Quelle: Sebastian Gabsch

QUADDEL: Ab 2024 müssen neue Heizungsanlagen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien laufen. Wird das bei Ihren Angeboten künftig auch eine Rolle spielen?

Kindlimann: Wenn ein Gast darauf Wert legt, kann ich gern eine Unterkunftsart suchen, die energetisch zu einem hohen Prozentsatz erneuerbar geheizt oder im Sommer gekühlt wird. Wir sind das erste Grüne Reisebüro im deutschsprachigen Raum, lernen jeden Tag hinzu und sind nah an den neuesten Trends und Möglichkeiten. Unsere Kriterien für nachhaltige Hotels enthalten auch die höchsten ökologischen Anforderungen für Heiz- und Kühlsysteme entsprechend der in den jeweiligen Ländern verfügbaren Strommixe.

QUADDEL: Listen Sie ausschließlich Hotels, die heizungstechnisch zertifiziert sind?

Kindlimann: Nein. Trotz unseres hohen Anspruchs an unsere Partner und an uns selbst wollen wir uns nicht zum grünen Moralapostel aufschwingen. Urlaub soll allen Spaß machen.

Lesen Sie auch  John Oliver erstellt Timesharing-Werbung, um zu zeigen, wie schlecht Timeshares wirklich sind

QUADDEL: Sind auch bekennende Klimaaktivisten und Klimakleber unter Ihren Kunden?

Kindlimann: Bis jetzt keine, nein. Aber auch für Klimaaktivisten hätten wir interessante Angebote. Man kann Urlaub wunderbar mit Freiwilligenarbeit kombinieren, maßgeschneidert auf vorhandene Kenntnisse und Fertigkeiten ausgerichtet. Mein Lieblingsprojekt ist die Mithilfe auf der Pinguin-Station bei Kapstadt. Die soziale und wirtschaftliche Wertschöpfung im Land als unmittelbare Folge des Tourismus hat ein erhebliches Gewicht in der Nachhaltigkeits-Bilanz.

QUADDEL: Kapstadt liegt aber nicht mal eben um die Ecke.

Kindlimann: Stimmt, Aufenthaltsdauer und Flugstrecke sollten in einem nachhaltigen Verhältnis zueinander stehen. Deshalb schlagen wir unseren Kunden immer auch eine Reisedauer vor, die zur Flugstrecke passt: Wer Destinationen ansteuern will, die in einem Radius unter 800 Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt sind, sollte mit Bus oder Bahn fahren.

Für weiter entfernt liegende Ziele wie Südafrika empfehlen wir mindestens zwei Wochen, und für Flugziele unter 3800 Kilometer sollten Reisende mindestens sieben Urlaubstage einplanen. Denn wie man es auch dreht und wendet, auf Fernreisen ist der Flug nun mal der größte CO₂-Faktor, er produziert den höchsten Anteil an Klima-Emissionen.

QUADDEL: Wäre es dann nicht konsequent, auf Flugreisen ganz zu verzichten oder sie zumindest stärker zu besteuern?

Kindlimann: Dann würden wir zwar C02 reduzieren, aber gleichzeitig vielen Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Nachhaltiger Tourismus hat eben nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche und soziale Komponente.

Nehmen wir mal das Beispiel Kapverden. Der Inselstaat gehörte etwa bis Anfang des Jahrtausends zu den ärmsten Ländern der Welt. Junge Frauen und Männer verließen zu Tausenden ihr Land, um woanders Geld zu verdienen. Erst der dynamisch wachsende Tourismus hat diese Situation verändert. Die Menschen haben wieder eine Perspektive.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit auf Reisen:

QUADDEL: Ihr Reisebüro gehört zum Unternehmen Lufthansa City Center. Präferieren Sie bei Flugbuchungen die Lufthansa?

Kindlimann: Lufthansa ist für die LCC einer der wichtigsten Flugpartner und war bis zum Jahr 2000 auch Gesellschafter. Von daher pflegen wir als große Reisebüro-Organisation natürlich eine intensive Geschäftsbeziehung zur Lufthansa.

Bei Flugbuchungen beraten wir unsere Kunden immer auf Basis des Airline-Indexes von Atmosfair. Und da muss sich die Lufthansa überhaupt nicht verstecken, denn sie hat eine moderne Flotte und investiert viel Geld in zukunftsgerichtete Technologien und Produkte wie beispielsweise in die Entwicklung von nachhaltigem, CO₂-reduziertem Flugbenzin.

QUADDEL: Wie können Reisende konkret CO₂ einsparen?

Kindlimann: Fliege ich in der Economyclass, ist mein ökologischer Fußabdruck kleiner als in der Businessclass. Denn je weniger Platz ich beanspruche, desto geringer ist der rechnerische Pro-Kopf-Verbrauch an Kerosin. Auch die umweltgerechte Beförderung am Urlaubsort muss keineswegs teuer sein. Viele Regionen lassen sich bestens mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Rad erkunden.

Lesen Sie auch  Showdowns um die Schuldenobergrenze sind nichts Neues – aber dieses Mal sind verrückte Republikaner bereit, die Wirtschaft in die Luft zu jagen | Robert Reich

QUADDEL: Fahrradfahren, gutes Stichwort. Sollte, wer bei Ihnen einen Urlaub mit dem E-Bike bucht, nicht darauf achten, dass der Strom grün ist?

Kindlimann: Das ergibt Sinn. Norwegen wäre beispielsweise ein Reiseland, wo der größte Teil der Elektrizität aus Wasserkraft gewonnen wird. In vielen anderen Ländern ist es für E-Bike-Fahrer nicht immer klar, ob der Ladestrom tatsächlich grün ist. Im Zweifel lässt man sich bei der Auswahl des passenden Urlaubsortes deshalb von uns beraten – oder aber man setzt wie ehedem auf Muskelkraft.

Lesen Sie auch

Wettrennen im Wald: E-Bikes sind bis zu 25 Stundenkilometer schnell

QUADDEL: Sie kooperieren mit verschiedenen Veranstaltern, was genau zeichnet sie aus?

Kindlimann: Alle unsere Kooperationspartner, wie fairweg.de, Chamäleon, Forum Anders Reisen, Studiosus, Gebeco, Olimar und ASI Reisen, sind zertifiziert zum Beispiel nach GSTC, dem Internationalen Rat für nachhaltigen Tourismus, und weiteren Zertifizierungssystemen. Dafür qualifizierten sie sich freiwillig und lassen sich regelmäßig überprüfen.

Darüber hinaus haben unsere Partner eigene Nachhaltigkeitsschwerpunkte. Studiosus beispielsweise ist stark beim Thema Menschenrechte engagiert. Unser Partner Chamäleon unterstützt Frauen bei Bildung und finanzieller Unabhängigkeit und setzt sich dafür ein, dass ein möglichst großer Teil des Reisepreises der lokalen Wirtschaft im Reiseland zugutekommt. Einen anderen Fokus hat unser Partner fairweg.de; dieses Portal analysiert sein Hotelportfolio sehr genau, sodass man den Nachhaltigkeitsgrad seiner Unterkunft für sich passend wählen kann.

Zu unserem Sortiment gehören zudem nachhaltige Veranstalter, die auf Sprachreisen, Freiwilligeneinsätze sowie Kunst- und Gartenreisen spezialisiert sind. Übrigens: Die hohen Maßstäbe, die wir bei der Auswahl unserer Partner anlegen, gelten natürlich auch für uns selbst. Unsere Muttergesellschaft LCC ist Mitglied der Brancheninitiativen Futouris und KlimaLink und führt eine regelmäßige Klimabilanzierung durch.

QUADDEL: Das Berliner Start-up gruener-fliegen.de bietet seit 2021 seinen Kunden an, die Flüge auf der Website nicht nur nach Preis und Flugzeit zu vergleichen, sondern auch den Umwelteinfluss jedes einzelnen Fluges. Arbeiten Sie mit gruener-fliegen.de zusammen?

Kindlimann: Nein, aber ich würde neue Partnerschaften, die gut zu uns passen, für die Zukunft nicht ausschließen.

Andreas Kindlimann ist gebürtiger Schweizer, Lehrer und ausgebildeter Journalist. Nach Freiburg und zu seiner jetzigen Berufung als Touristiker im Grünen Reisebüro kam der 56-Jährige über verschiedene Umwege und eine lange berufliche Station als Reisebüroinhaber und Countrymanager bei der L’tur Lastminute AG.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.