Fast durchgehend war es 2023 abwärtsgegangen, doch zum Abschluss gibt es nun eine Kehrtwende: Die Inflationsrate ist den Angaben des Statistischen Bundesamtes vom Donnerstag zufolge im Dezember 2023 wieder gestiegen, von 3,2 auf 3,7 Prozent. Für das Gesamtjahr 2023 taxierten die Statistiker die Preissteigerungsrate auf 5,9 Prozent.
Diese Zahlen selbst sind kein Anlass zur Panik, insbesondere der neuerliche Anstieg war so erwartet worden, und er ist vor allem auf statistische Basiseffekte zurückzuführen. Sorgen macht Ökonomen jedoch etwas anderes: Die Kerninflationsrate. Sie spiegelt den langfristigen, unterliegenden Trend wider. Und hier besteht weiterhin kein Anlass zur Entwarnung. Das jedoch könnte die Hoffnung des Finanzmarktes auf baldige Zinssenkungen zunichtemachen.
Ein wesentlicher Grund für den erneuten Anstieg der Inflationsrate liegt ein Jahr zuvor, im Dezember 2022. Denn damals hatte der Bund die sogenannte „Dezember-Soforthilfe“ gezahlt, sprich, er hatte einmalig den Monatsabschlag der privaten Haushalte für Gas und Wärme übernommen.
Dieser Kostenposten war damals also statistisch auf Null gefallen, und entsprechend fällt der Aufschlag nun, da die Kosten von Dezember 2023 mit Dezember 2022 verglichen werden, umso stärker aus. Konkret wurde aus einem Minus von 4,5 Prozent bei den Energiepreisen im November 2023 nun im Dezember ein Plus von 4,1 Prozent.
Bei den Nahrungsmitteln dagegen – ein anderer wesentlicher Kostentreiber der vergangenen zwei Jahre – sank die Inflationsrate weiter, von 5,5 auf 4,5 Prozent.
Rechnet man die Entwicklung bei Energie und Nahrungsmitteln heraus, ergibt sich die sogenannte Kerninflation. Auf diese schauen sowohl Ökonomen als auch die Währungshüter bei der Europäischen Zentralbank, denn daraus lässt sich der grundsätzliche Trend ablesen.
Kerninflationsrate sinkt sehr langsam
Die gute Nachricht: Die Kerninflationsrate ging erneut zurück, von 3,8 auf 3,5 Prozent. Die schlechte: Das ist nach wie vor ein Rückgang in Trippelschritten, und der Wert ist noch weit von der Zielmarke der Notenbank bei zwei Prozent entfernt. „Die Preistrends bei der Kerninflation zeigen einen weiterhin bestehenden Preisdruck in der Breite der Wirtschaft“, sagt Michael Heise, Chefökonom beim Vermögensverwalter HQ Trust.
Vor allem aber dürfte dieser Preisdruck in den kommenden Monaten kaum nachlassen. „Zahlreiche staatliche Maßnahmen werden deutlich preissteigernd wirken“, sagt Heise. So dürften die Energiepreise im Januar zulegen, da der CO₂-Preis von 30 Euro je Tonne stärker als ursprünglich geplant auf 45 Euro gestiegen ist.
Zudem ist die Preisbremse bei Gas und Strom zum Jahreswechsel ausgelaufen. Ferner zahlen Gas- und Fernwärmekunden wieder die volle Mehrwertsteuer von 19 statt der ermäßigten sieben Prozent. Auch auf Speisen in Restaurants kehrt sie auf das alte Niveau von 19 Prozent zurück.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, rechnet damit, dass all dies einen Effekt von ungefähr 1,2 Prozent haben wird, entsprechend höher dürfte also die Januar-Inflationsrate ausfallen.
Zwar geht er davon aus, dass sie anschließend wieder sinkt. „Am Ende dürfte sich die Inflation aber eher bei drei als bei zwei Prozent einpendeln, weil die Löhne kräftig steigen“, sagt er.
Zudem bewirken die erhöhten Niveaus, die sich aus den staatlichen Aufschlägen ergeben, das ganze Jahr hindurch einen statistischen Effekt, der die Inflationsrate erhöht. Das wiederum könnte dann weiteren, noch höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften den Boden bereiten – die Inflationsspirale würde sich wieder schneller drehen. „Das Inflationsproblem ist noch nicht gelöst“, sagt Krämer daher.
„Absehbar ist, dass die Inflationsrate durch staatliche Preistreiberei zu Jahresbeginn neuen Auftrieb erhält“, sagt auch Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe. Werte von unter drei Prozent schon im Februar seien inzwischen unwahrscheinlich. „Zudem nimmt die Zahl der Unternehmen, die Preise anheben wollen, derzeit zu“, nennt er als weiteren Einflussfaktor, der nicht aus den Augen verloren werden sollte.
Etwas optimistischer ist Michael Herzum, Leiter des Bereichs Volkswirtschaft und Makrostrategie bei Union Investment. Er erwartet im weiteren Jahresverlauf einen weiteren Rückgang der Kerninflation auf 2,5 Prozent.
Auch Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, glaubt, dass der Abwärtstrend bei der Inflation im Februar wieder einsetzt und es dann im Jahresverlauf Richtung zwei Prozent geht. „Für das Gesamtjahr 2024 rechnen wir im Durchschnitt mit einer Inflation von 2,5 Prozent“, sagt er.
Das Problem: Auch das liegt eben noch deutlich über dem Ziel der EZB – und das könnte Folgen für die Entwicklung der Leitzinsen haben, und damit auch für die Aktienmärkte. Denn an den Finanzmärkten hatte sich in den vergangenen zwei Monaten die Überzeugung durchgesetzt, dass die Notenbanken schon sehr bald die Zinsen wieder senken werden.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies bereits im ersten Quartal 2024 geschieht, sahen die Investoren zuletzt bei knapp 90 Prozent für die US-Notenbank Fed und bei rund 60 Prozent für die Europäische Zentralbank. Dies lässt sich aus dem Handel von Zinsfutures ablesen.
Diese Aussicht hatte seit Ende Oktober zu einer Rallye an den Aktienmärkten geführt, insbesondere bei jenen Werten, die von niedrigeren Zinsen tendenziell profitieren, also beispielsweise Nebenwerten, Technologieaktien und Firmen mit hohem Schuldenstand.
Diese Hoffnungen könnten nun jedoch enttäuscht werden. „Die Dezemberzahlen zur Inflation sind ernüchternd für Verbraucher und Zentralbanken“, sagt Michael Heise. „Baldige Zinssenkungen der EZB lassen sich daraus kaum ableiten.“
Auch Michael Herzum glaubt, dass es länger als erwartet dauern wird, bis die Notenbanken aktiv werden. „Wir halten die Erwartungen des Marktes bezüglich rascher Zinssenkungen für verfrüht“, sagt er. „Mit der ersten Zinssenkung rechnen wir im Juni.“
Tatsächlich waren die Renditen für deutsche Staatsanleihen bereits am Donnerstagmorgen deutlich gestiegen, nachdem erste Inflationsdaten aus einzelnen Bundesländern bekannt geworden waren und diese deutlich höhere Steigerungsraten ausgewiesen hatten. Und auch der Aktienmarkt konnte seine Rallye, die seit Oktober angehalten hatte, zuletzt nicht mehr fortsetzen.