Habeck auf Sommerreise: Und dann erklärt Robert Habeck, woher das Erstarken der AfD kommt

Robert Habeck ist in seinem Element: Seit mehr als einer Stunde steht er schon im Karlstorbahnhof, einem Kulturzentrum in Heidelberg, und erklärt die Welt. Die Fragen stellt an diesem Abend das ihm fast ausschließlich wohlgesonnene Publikum. Wer am „Bürgerdialog“ in Heidelberg teilnehmen wollte, musste sich vorher über das Internet anmelden. Das haben offensichtlich überwiegend die Wähler der Grünen getan.

Nur zwei Handvoll Demonstranten haben sich vor den Karlstorbahnhof verirrt. Ein paar AfD-Anhänger sind dabei, einer fordert Frieden mit Russland, eine andere Freiheit für Julian Assange. Um Heizungen geht es nicht. Die Demonstranten müssen ohnehin draußen bleiben.

Vor einem Jahr war das in Bayreuth noch ganz anders. Damals, bei der letzten Sommerreise des Wirtschaftsministers, war von Habecks Rede auf dem Marktplatz kaum etwas zu verstehen, so laut waren die Trillerpfeifen und Buhrufe der Demonstranten. Doch an diesem Montagabend wird schon an den Wortmeldungen klar, welches Publikum es in die Halle geschafft hat. Zu den kritischsten Fragen gehört, wie man Menschen am besten überzeugen könne, Vegetarier zu werden, außerdem soll Habeck beantworten, ob das Artensterben nicht genauso schlimm sei wie der Klimawandel, und dann will eine Besucherin auch noch wissen, warum der Minister nicht konsequenter gendert.

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Es ist eine Atmosphäre, in der Robert Habeck ins Philosophieren kommt. Diese Rolle konnte er in den vergangenen Monaten selten einnehmen, zu heftig war die Kritik an seinem noch immer nicht beschlossenen Heizungsgesetz, zu sehr war er in der Defensive. Habeck ist erkennbar froh, bei seiner Sommerreise schon geografisch etwas Abstand zu den Berliner Debatten der vergangenen Wochen zu bekommen.

Mit heftiger Kritik ist auf der Sommerreise nicht zu rechnen

Das Programm ist so gestaltet, dass mit heftiger Kritik nicht zu rechnen ist: Besuchte der Wirtschaftsminister vor einem Jahr noch Papier- und Glasfabriken, die besonders unter der damals aufziehenden Energiekrise litten, stehen in diesem Jahr überwiegend Profiteure der Energie- und Wärmewende auf dem Programm: Erste Station ist Bürkle+Schöck, ein Mittelständler bei Stuttgart, der unter anderem Wärmepumpen und Fotovoltaikanlagen installiert.

Hier ist das Theater um das Gebäudeenergiegesetz bestenfalls noch ein Witz. „Herr Minister, Sie sind zu schnell“, ruft Chef Thomas Bürkle dem Politiker hinterher, als der am Demonstrator-Schaltkasten vorbeihasten will. „Das hab‘ ich schon mal gehört“, witzelt Habeck und grinst. Als ein Mitarbeiter vorführt, wie der Einsatz der Installateure digital gesteuert wird, indem er Robert Habeck kurzerhand als Techniker „RoHa1000“ in seinem System anlegt, der nun eine Wärmepumpe installieren soll, ruft der nur: „Och, nee!“ Hier in Schwaben kann man schon wieder über das verunglückte Wärmepumpengesetz lachen.

Es folgen ein Besuch bei Bosch, wo Habeck einen Förderbescheid über fast 161 Millionen Euro für ein Wasserstoffprojekt übergibt, und ein Termin bei Südkabel, einem Unternehmen in Mannheim, das sich künftig von der Energiewende gute Geschäfte erhofft.

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So muss Habeck selbst die Rolle des Kritikers übernehmen, als er am Abend in Heidelberg auf der Bühne steht. Er wisse schon, dass es eine Zumutung sei, wenn man sich verändern müsse. Und die Grünen hätten nun mal mit Energie-, Verkehrs- und Wärmewende „viele Wenden in unserem Programm“, gibt er zu. „Es ist ganz klar: Bei ganz vielen Wenden wird einem manchmal ein bisschen schwindelig.“ Da müsse man auch selbstkritisch sein, „also robertkritisch“, sagt der Minister. „Es stimmt: Wir haben uns im letzten halben Jahr, im Grunde die ganze Legislaturperiode auf offener Bühne gestritten“, so Habeck. „Eine Regierung, die sich öffentlich streitet wie die Kesselflicker, ist nicht gut.“

Die zweite Zumutung neben der Veränderung sei es „zusammenzubleiben“. Es sei nun mal anstrengend, sich nicht in seine Blase zurückzuziehen und mit denjenigen, die anderer Meinung sind, weiter zu diskutieren. „Sie wissen, wie fragil im Moment der demokratische Raum ist und wie leicht es ist, mit populistischen Sprüchen Aufmerksamkeit zu bekommen“, lobt Habeck sein Publikum, denn das sei ja schließlich gekommen, um zu diskutieren. Allerdings bewegt man sich im Karlstorbahnhof an diesem Abend erkennbar in einer grünen Blase.

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Habeck will „dauerhaft eine positive Geschichte“ erzählen

Max, 19, Physikstudent und Mitglied der Grünen Jugend, stellt die erste Frage: „Wie können wir Menschen vom Klimaschutz überzeugen, die nicht nach Fakten, sondern nach Emotionen wählen gehen?“ Da habe er ihn „gleich mitten ins Herz getroffen, weil Emotionen natürlich immer dazugehören“, antwortet Habeck. Es reiche eben nicht, „nur auf die reine Wissenschaft, auf die Zahlen, auf die Fakten zu schauen“. Er glaube nicht daran, dass man politisch erfolgreich sein könne, wenn man immer nur Schreckensbilder zeichne. „Mein Weg da raus ist, dauerhaft eine positive Geschichte zu erzählen“, sagt der Minister.

Und weil Habeck gerade beim Philosophieren ist, wird er an diesem Abend grundsätzlich: Es gebe einige politische „Leitbegriffe“, um die immer gestritten werde. Habeck nennt: „Wohlstand“, „Freiheit“, „Verantwortung“ und „Deutschland“. Und die dürfe man nicht einfach aufgeben und dem politischen Gegner überlassen. Habeck bemüht dann Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“.

„Das heißt jetzt nicht, dass alle Super-Millionäre werden müssen, aber es heißt, dass man den Wohlstand des Landes gerecht verteilt“, sagt er. Doch zur sozialen Marktwirtschaft müsse nun auch eine ökologische Verteilung kommen. Man dürfe nicht „durch den Reichtum, den wir jetzt erwirtschaften, die Wohlstandschancen künftiger Generationen komplett ruinieren“. Der Begriff „Wohlstand“ müsse immer neu definiert und erstritten werden.

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Der Freiheitsbegriff einiger soll laut Habeck sogar der Grund für das starke Abschneiden der AfD in Umfragen sein. „Der Grund des Erstarkens des rechten Populismus ist nicht, dass man sich den Obrigkeitsstaat, den starken Führer, die Dominanz von ,Law and Order‘ wünscht, sondern das Gegenteil: in Ruhe gelassen zu werden“, sagt Habeck. „Alles, was an Staatlichkeit auf einen zukommt, ist eine Gefährdung des eigenen Freiheitsempfindens.“

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Das Problem daran sei, dass dieser Freiheitsgedanke „ganz schnell pervertiert“ werde. Gäbe es keine Gesetze, keine öffentliche Sicherheit, herrsche „Wilder Westen, wir schießen selbst, wir brauchen keine Polizisten“. „Dieser Gedanke führt ganz schnell in eine falsche, übersteigerte, fast asoziale Freiheitsposition“, sagt Habeck. Er spricht von einem „pervertierten Freiheitsnarrativ“.

Man müsse deshalb immer wieder beweisen, dass „eben nicht an alle gedacht ist, wenn jeder an sich selbst denkt“. Stattdessen müsse man zeigen, dass Institutionen und Infrastruktur funktionieren. „Das ist jetzt Politikgerede, das weiß ich schon“, sagt Habeck. Aber: „Man muss beweisen, dass es besser ist, wenn man sich der Gemeinschaft annähert.“ Das sei „sehr, sehr schwer“ und deshalb sei er „sehr beunruhigt“ über das Erstarken der Rechtspopulisten. „Es geht um zweierlei Freiheitsverständnisse: eines, das sich isoliert, und eines, das weiß, dass Freiheit nur in einer funktionierenden Gesellschaft möglich ist. Das ist der Konflikt, der gerade ausgefochten wird.“ An diesem Abend in Heidelberg wird der Streit allerdings nicht ausgetragen. Man ist sich einig im Karlstorbahnhof.

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