Greenlyte Carbon: Klima-Start-up aus Essen filtert Treibhausgase aus der Luft

CO₂-Moleküle aus der Luft zu ziehen, vergleicht Florian Hildebrand mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn mit 0,04 Prozent mache Kohlenstoffdioxid nur einen winzigen Teil der Umgebungsluft aus.

„Aber die Nadel hat eben einen großen Einfluss auf das Klima“, sagt der Gründer. Deswegen glaubt er auch nicht, dass das technische Verfahren dahinter, sogenanntes „Direct-Air-Capture“ (DAC), zwecklos ist. Sein Start-up Greenlyte Carbon Technologies hat in Essen in jüngster Vergangenheit eine Pilotanlage an den Start gebracht und will in dem Markt nun einen Durchbruch erzielen.

Der erste „Trick“, den ihr CO₂-Staubsauger anwenden soll: Treibhausgase 20-mal effizienter zu filtern als andere DAC-Anlagen. „Das Verfahren ist so schnell, dass ungefähr die Hälfte des CO2s, das durch die Anlage fließt, abgeschieden wird. Jede zweite Nadel im Heuhaufen finden wir also“, so Hildebrand.

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Dafür hat das Start-up aus Essen eine spezielle Flüssigkeit entwickelt. Kommt diese mit der Luft in Kontakt, werden CO₂-Moleküle herausgesaugt und von der Flüssigkeit aufgenommen. Danach verfestigt sich das CO₂ zu einem Salz, das zum Boden fällt.

Hier kommt dem Gründer zufolge der zweite „Trick“ zum Tragen: Denn der abgespaltene Kohlenstoff muss letztlich aus der Luftfilter-Maschine wieder herauskommen, damit er entweder im Gestein verpresst oder in der Industrie als Material- oder Brennstoff erneut eingesetzt werden kann. Je nachdem, schafft DAC damit negative Emissionen oder eine zumindest klimaneutrale Kreislaufwirtschaft.

Technologie von Greenlyte Carbon setzt Wasserstoff frei

Zwar kommt die Lösung von Greenlyte Carbon nicht ohne eine Menge Strom aus, um reines CO₂ auszuspucken. Aber: „Ein Teil davon geht direkt in Wasserstoff über“, sagt Hildebrand. „Ein gutes Molekül kommt, ein schlechtes geht.“

Das geht so: Per Elektrolyseverfahren reagiert das feste, leitfähige CO₂-Zwischenprodukt mit Wasser bei hoher Erhitzung zu drei Stoffen: Kohlenstoff, Wasser- und Sauerstoff.

Die Idee dazu hatte sein Mitgründer Peter Behr, Wissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, der im DAC-Bereich seit über 15 Jahren forscht. Der Vorteil: Mit dem frisch erzeugten Wasserstoff bietet sich eine zusätzliche Energiequelle, die etwa für die Autoindustrie und den Stahlbau interessant wird.

Die Gründer Florian Hildebrand (v.l.), Peter Behr und Niklas Friedrichsen versprechen, mit ihrem „Staubsauger“ CO₂ 20-mal schneller aus der Luft zu filtern als bisherige Verfahren

Quelle: Greenlyte Carbon Technologies

Im Direct-Air-Capture-Markt tummeln sich inzwischen einige Anbieter, darunter auch Ausgründungen von Öl-Konzernen. Ziel dieser Branche ist es primär, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen und bis 2050 Netto-null-Emissionen zu erreichen.

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Pionier ist das Züricher Start-up Climeworks, das als Spin-Off der ETH Zürich 2009 gegründet wurde. Das Cleantech hat mit „Orca“ in Island die bis dato größte kommerzielle DAC-Anlage weltweit errichtet und entzieht der Luft pro Jahr rund 4000 Tonnen CO₂. Für den Prozess nutzt das Unternehmen eigenen Angaben zufolge ausschließlich erneuerbare Energien oder industrielle Abwärme.

Zum Vergleich: Greenlyte Carbon gibt an, sieben Kilogramm CO₂ pro Stunde zu filtern. Auf das Jahr gerechnet ergeben sich somit rund 61,4 Tonnen.

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Im Sommer 2022 gab Climeworks bekannt, mit dem Projekt „Mammoth“ eine noch größere Anlage zur Abspaltung und Speicherung von Kohlenstoff aufzubauen. Diese soll 36.000 Tonnen CO₂ pro Jahr abscheiden.

Die Eröffnung planen die deutschen Gründer Jan Wurzbacher und Christoph Gebald für das kommende Jahr. Vor allem in den Golfstaaten und den USA wächst das Interesse an Technologien zur Kohlendioxidabscheidung aus der Luft. Als Teil des Inflation Reduction Acts, investiert etwa die US-Regierung einen Milliardenbetrag in den Bau von zwei DAC-Anlagen in Texas.

Direct-Air-Capture frisst viel Energie

Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) waren im Juli 2023 weltweit 27 DAC-Anlagen in Betrieb, weitere 130 sind geplant. Trotzdem: Ihre Kapazität ist insgesamt noch weit entfernt von den Zielen, die sich die IEA in ihrer Roadmap gesteckt hat: bis 2030 rund 90 Megatonnen CO₂ pro Jahr zu filtern.

Eher ernüchternd sind auch die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2019, die Forscher der RWTH Aachen und ETH Zürich durchgeführt haben. Sie haben herausgefunden, dass fast 3700 DAC-Anlagen mit einer Kapazität von 100.000 Tonnen pro Jahr nötig wären, um der Atmosphäre gerade mal ein Prozent der jährlichen CO₂-Emissionen zu entziehen.

Ein Effekt, der verpufft: Der weltweite CO₂-Ausstoß hat im Jahr 2021 rund 38 Milliarden Tonnen betragen, gibt das Statistische Bundesamt an. Zudem schmälert sich der positive Effekt aufs Klima, wenn die energieintensiven DAC-Anlagen mit fossilen, statt grünen Stromträgern betrieben werden. Im Fall des Essener Start-ups werde für den Antrieb der Maschinen Solarenergie vom Dach bezogen.

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Gründer Hildebrand kennt die Kritik an DAC: „Die Herausforderung ist gigantisch, wir sind uns der Sache bewusst. Aber es bringt auch nichts, von vornherein zu sagen: Es ist eh alles zu spät“, meint der 33-Jährige.

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Im „Rennen gegen den Klimawandel“ müssten dem Gründer zufolge aber mehrere Dinge wie die Produktion und Speicherung von Strom gleichzeitig angegangen werden. „Am Ende wird immer noch eine große Menge CO₂ übrig bleiben“, meint der Ingenieur. „Das müssen wir mit CO₂-Staubsaugern aus der Luft holen.“

Eine Megatonne CO₂ aus der Luft binden

Mit seinem Start-up verfolgt der CEO selbst große Pläne: Bis 2035 wollen er und seine Co-Gründer Peter Behr und Niklas Friedrichsen eine Megatonne CO₂ pro Jahr schaffen. Im Jahr 2050 dann schon 0,1 Gigatonne. „Wenn man dann die jetzigen Zahlen sieht, würde jeder sagen: Was für ein Schwachsinn“, sagt Hildebrand. Er will trotzdem daran glauben, betont er.

Aktuell koste es im Schnitt noch zwischen 400 und 500 Euro, um mit einer Greenlyte-Anlage eine Tonne CO₂ aus der Luft zu filtern. Allgemein kalkulieren Branchenexperten im Markt mit Preisen um die 800 Euro. „Im Vergleich zu anderen liegen wir mit unseren Preisen zwar gut. Wir müssen trotzdem in den Bereich von 100 bis 150 Euro kommen“, erklärt der Gründer.

Bisher hat das Start-up ein Jahr nach der Gründung drei seiner Anlagen gebaut und ist dabei, eine an ein kanadisches Unternehmen zu verkaufen. Mit weiteren potenziellen Kunden liefen zudem Gespräche.

Noch kosten die Anlagen einen hohen sechsstelligen Betrag. Langfristig sei jedoch geplant, statt fertig gebauter Maschinen, die Technologie als Lizenz-Modell zu verkaufen. So will es Greenlyte Carbon gelingen, zu skalieren. Einmal hat das Hildebrand schon geschafft – für ihn ist das Cleantech nicht sein erstes Start-up.

Qualifyze-Gründer machte zuvor Pharma-Start-up groß

Im Jahr 2018 gründete er mit David Scheider das Software-Start-up Qualifyze, das Audits für die Pharmabranche auf einer Plattform zusammenträgt und Risiken in Lieferketten bestimmt. Audits sind Berichte, die Hersteller von Medikamenten erstellen müssen, um Produktionen von Zulieferern zu überprüfen – ein aufwendiger Prozess, den die Gründer Unternehmen abnehmen wollten.

Heute beschäftigt Qualifyze laut Hildebrand 140 Mitarbeiter, macht „gute achtstellige“ Umsätze und hat über die vergangenen Jahre rund 30 Millionen Euro von Investoren, darunter HV Capital und Cherry Ventures, eingesammelt.

Nach fünf Jahren entschied sich Hildebrand trotzdem, zu gehen. „Als die trockenen Sommer 2020 und 2021 kamen, habe ich angefangen, mehr über das Klima nachzudenken“, so der Gründer.

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Nach seinem Ausstieg pausierte er eine Weile und investierte in Start-ups, bevor er eine Inspirationsreise unternahm, um die Gründung seines Cleantechs vorzubereiten. 100 Forscher habe der 33-Jährige in Deutschland angeschrieben und nach einer Zusammenarbeit gefragt. Bei Energieverfahrenstechniker Peter Behr aus Essen wurde er fündig.

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Da sich der Wissenschaftler vor allem auf die Forschung konzentriert und Hildebrand eher die Businessseite abdeckt, suchten sie noch einen dritten Mitstreiter. So stieß Niklas Friedrichsen, Gründer des Stahl-Marktplatzes Mapudo, dazu. Er koordiniert heute das Team, das inzwischen auf 23 Leute gewachsen ist.

Um Ingenieure, Chemiker und Techniker einzustellen, braucht die Firma natürlich Kapital. Das sicherte sich CEO Hildebrand in zwei Schritten: Investoren wie der von Janna Enstahler und Manon Littek aufgesetzte Green Generation Fund, der Berliner VC Earlybird, Axel Springer Porsche und Auxxo von Gesa Miczaika steckten zusammen rund acht Millionen Euro in die CO₂-Staubsauger der Essener Firma. Hinzu kommen weitere drei Millionen Euro aus beantragten Fördergeldern.

Das Geld nutzen die Gründer auch, um ihre Testanlagen vorzufinanzieren und eine eigene Werkstatt einzurichten. Langfristig will Hildebrand die DAC-Anlagen aber direkt über Kunden finanzieren, statt mit Risikokapital.

Start-up braut eigenes Bier mit gefiltertem CO₂

In den nächsten Monaten geht es für Greenlyte Carbon Technologies darum, ihr Verfahren noch robuster zu machen und eine höhere Energieeffizienz zu erreichen. Dazu CEO Hildebrand: „Der Prozess ist vergleichbar mit einem Formel1-Auto, das auf die Strecke angepasst werden muss. So ist das auch bei uns: Wir müssen unsere Anlage auf die verschiedenen Umgebungsbedingungen anpassen.“ Momentan wirken sich Temperaturwechsel noch darauf aus, wie schnell CO₂ aufgenommen und zu Salz gebunden werden kann.

Doch nicht nur die Technologie soll verbessert werden. In Versuchsreihen will die Firma erproben, wie sich ihr gefiltertes CO₂ in der Industrie einsetzen lässt. Mit der Essener Brauerei Stauder plant das Start-up etwa, Anfang 2024 eine eigene Biermarke herauszubringen. Denn Kohlenstoffdioxid wird beim Abfüllen von Pils benötigt, wobei das Gas in der Flasche zu Kohlensäure reagiert.

In einem anderen Projekt stellt Greenlyte Rucksäcke aus Kunststoff her, der nicht aus Erdöl, sondern aus synthetischen Stoffen gewonnen wird. Auch soll eine Storage-Firma testen, wie gut sich das Greenlyte Carbon im Boden verpressen lässt. „Wir sehen diese Projekte aber eher als Marketing-Cases, um wahrgenommen zu werden“, meint Hildebrand.

Auch, wenn der Druck da ist, schnell Ergebnisse zu liefern, errechnet sich Hildbrand gute Chancen für seine Firma, um im Direct-Air-Caputure-Markt groß zu werden. Dafür sei er bereit, Risiken einzugehen. „Es werden sich aber mehrere Firmen durchsetzen“, meint der CEO. „Das ist kein Winner-takes-it-all-Markt.“

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Dieser Text stammt aus einer Kooperation mit dem Magazin “Gründerszene”. Klicken Sie auf die Links, verlassen Sie welt.de und landen in den Artikeln bei gruenderszene.de.

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