Zum Jahreswechsel hat sich die Aufnahme von Mayotte in die EU zum zehnten Mal gejährt: Am 1. Januar 2014 wurde das 8000 Kilometer von Paris entfernte französische Überseedepartement integraler Bestandteil der Europäischen Union mit dem Euro als Zahlungsmittel. EU-Bürger brauchen am Flughafen von Mayotte nur den Personalausweis vorzuzeigen.
Die leichte Einreise, die europäischen Standards und vor allem die tropische Natur machen die französische Exklave vor der Ostküste Afrikas – sie besteht aus den zwei bewohnten Inseln Grande Terre und Petite Terre und kleinen Nebeninseln – eigentlich zum perfekten Ziel für Winterflüchter.
Ganzjährig liegen die Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad, auch nachts. Dennoch zieht Mayotte deutlich weniger Touristen an als La Réunion, Frankreichs zweites Überseegebiet im Indischen Ozean. Der Grund dafür liegt rund 70 Kilometer von Mayotte entfernt: Anjouan. Von der Komoren-Insel versuchen seit Jahr und Tag Flüchtlingsboote nach Mayotte überzusetzen, oft mit Erfolg. Inzwischen gehen die Elendssiedlungen der Migranten auf Grande Terre in die Hunderte.
Quelle: Infografik Die Welt
Mayotte gehört zwar geografisch zu den Komoren, fühlt sich der Inselgruppe ansonsten jedoch nicht zugehörig, da es von dieser schon seit 1841 politisch und verwaltungstechnisch getrennt ist. Damals kaufte Frankreich dem Herrscher von Mayotte, einem arabischen Sultan, die Inseln ab und verbot bald darauf die Sklavenhaltung, was der Beliebtheit der neuen französischen Herren überaus zuträglich war.
Die benachbarten Komoren-Inseln dagegen wurden noch 70 Jahre länger von Sultanen regiert, und obwohl die Eilande 1912 ebenfalls an Frankreich fielen, hatten sie „nur“ den Status einer Kolonie. Das erklärt auch, warum in den 1960er-Jahren der Drang nach Unabhängigkeit auf den Komoren viel stärker war als auf Mayotte.
Die dortige Bevölkerung sprach sich gleich in zwei Referenden für Frankreich aus. Eine Entscheidung, die Paris akzeptieren musste, denn die französische Verfassung schreibt vor, dass kein Territorium gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung aus der Grande Nation entlassen werden darf.
Zu den Highlights für Besucher zählen die artenreiche Natur mit allein 50 Orchideenarten, die weiten unberührten Strände und eine der größten Lagunen des Planeten. Unter Wasser locken intakte Korallenbänke.
Unter Walhaien und Meeresschildkröten
Ungewöhnlich an Mayotte sind auch die geografischen Dimensionen. So ist die Lagune mit 1200 Quadratkilometern dreimal größer als die darin eingeschlossenen Inselflächen. Ein fast kreisrundes, teilweise doppeltes Korallenriff mit einer Gesamtlänge von 180 Kilometern bildet eine Barriere zum offenen Meer hin.
Wie im Aquarium tummeln sich innerhalb der Lagune orangerot leuchtende Clownfische neben wild gemusterten Doktorfischen und grimmig dreinblickenden Seeteufeln. Zu ihnen gesellen sich zwischen Juli und Oktober Walhaie und Buckelwale, die das flache Wasser als Kinderstube für ihren Nachwuchs nutzen.
Auch Grüne Meeresschildkröten zieht es in dieser Zeit nach Mayotte. Seit mehreren Jahren schon ist die Jagd auf die Panzertiere verboten, die Strände, die sie zur Eiablage aufsuchen, werden überwacht. Schnorchler können die Meeresschildkröten beim Grasen auf den Posidonia-Seegraswiesen beobachten – das klare Wasser bietet Sichttiefen bis zum Grund in 30 Metern Tiefe.
Noch nicht einmal eine Tauchausrüstung muss sein, um tolle Unterwassererlebnisse zu haben. Maske und Schnorchel genügen
Quelle: Getty Images/500px Prime/Serge MELESAN/500px
Die Lagune, die seit 2010 zum Meeresnaturpark von Mayotte gehört, darf auch betaucht werden. Die „Passe en S“ am östlichen Riff ist das bekannteste Tauchgebiet. Über eine Strecke von vier Kilometern reihen sich in diesem s-förmigen Durchgang vom Meer in die Lagune ein Dutzend Tauchplätze aneinander.
Der Gecko erinnert an Hähnchenbrust
Sie sind nachtaktiv, leben bevorzugt auf Bäumen und fressen Insekten – viel mehr weiß man nicht über die auf Mayotte und den benachbarten Komoren lebenden Fischschuppengeckos. Denn aufgrund einer besonderen Abwehrstrategie sind sie buchstäblich schwer fassbar: Schon bei der kleinsten Berührung streifen sie ihre Schuppen ab – und entflutschen.
Ohne ihren Hautschutz sind die Geckos zartrosa, ein bizarrer Anblick, der an Hähnchenbrustfilets auf vier Beinen erinnert. Dieser Zustand, der die Tiere zur leichten Beute macht, ist aber nicht von langer Dauer. Innerhalb weniger Wochen wachsen die abgeworfenen Schuppen wieder nach, ohne dass Narben auf der Haut entstehen.
Quelle: Infografik WELT
Bisher sind ein Dutzend verschiedene Arten von Fischschuppengeckos bekannt, aber erst vier offiziell beschrieben. Eine auf Mayotte lebende Art wurde 2015 von deutschen Wissenschaftlern als endemisch eingestuft und auf den Namen Geckolepis humbloti getauft.
Unterwegs auf der Parfüm-Plantage
Zweieinhalb Jahre stand das Parfüm Mahora in den Regalen luxuriöser Kaufhäuser. Guerlain hatte den Duft 1999 als Hommage an Mayotte – die Inseln heißen in der Sprache der Einheimischen Mahoré – kreiert. Der französische Kosmetikkonzern betreibt auf Mayotte Jasmin- und Ylang-Ylang-Plantagen.
Das Öl dieser Pflanzen sorgt für die stark orientalische Note von Mahora. Es ist der am wenigsten Guerlain-typische Duft – und erwies sich als Ladenhüter. 2002 wurde er wieder aus dem Sortiment genommen. Mit veränderter Rezeptur und unter dem neuen Namen Mayotte brachte Guerlain das Parfüm vier Jahre später erneut auf den Markt; nach wie vor bilden Ylang-Ylang-Pflanzen die Herznote.
Auf der Plantage von Guerlain kann man die gelben Blüten mit ihren in sich gedrehten Blättern bewundern und das Haus des berühmten Parfümeurs Jean-Paul Guerlain besuchen.
Ein Stahlskelett von Gustave Eiffel wurde verschifft
Die enge Verbindung zwischen Mayotte und Frankreich wird nirgendwo sichtbarer als auf Petite Terre, einer vorgelagerten Insel nordwestlich von Grande Terre. Dort landen die Flugzeuge aus Paris, dort stehen alle Kolonialbauten – und dort setzte sich Gustave Eiffel ein Denkmal: Der frühere Gouverneurspalast wurde nach Entwürfen von Frankreichs bekanntem Baumeister errichtet.
Wird derzeit zu einem Museum umgebaut: der „Palais Eiffel“, ehemaliger Gouverneurspalast
Es muss ein gehöriger Kraftakt gewesen sein, als das Stahlskelett des Hauses um 1881 von Europa in den Indischen Ozean verschifft und vor Ort zusammengesetzt wurde. Der denkmalgeschützte „Palais Eiffel“ mit Palmen und historischen Kanonen vor der Haustür wird derzeit zum Museum umgebaut.
Frauen sind die Hausbesitzerinnen
Die Frauen von Mayotte genießen einen legendären Ruf. Das hat historische, aber auch religiöse Gründe: Obwohl der Islam die vorherrschende Religion auf Mayotte ist, haben Frauen in der Gesellschaft traditionell eine zentrale Stellung, denn es gelten Matrilokalität (Mann zieht zur Frau) und Matrilinearität (die Erbfolge geht über die weibliche Linie der Familie).
Frauen sind traditionell die Hausbesitzerinnen, und Männer sind verpflichtet, ihren Töchtern und Schwestern ein Haus oder eine Etage zu bauen. Bei einer Scheidung muss immer der Mann die gemeinsame Wohnung verlassen. Dadurch ist die Scheidungsrate, anders als in anderen muslimischen Gesellschaften, in Mayotte relativ hoch, allerdings auch die Wiederverheiratungsrate.
In traditionelle Gewänder gehüllt: Die Frauen von Mayotte genießen einen legendären Ruf
Die benachbarten Komoren pflegen dagegen eine strenge sunnitische Auslegung des Islams – und die Männer haben dort das Sagen. Um diesem Schicksal zu entgehen, stimmten vor allem die Frauen von Mayotte bei der Volksabstimmung Ende 1974 mit großer Mehrheit für den Verbleib bei Frankreich, am Ende sprachen sich 63 Prozent aller Wähler auf Mayotte gegen einen gemeinsamen Staat mit den männerdominierten Komoren aus.
Beim zweiten Referendum 2009 votierten sogar 95 Prozent profranzösisch, also dafür, dass Mayotte in ein vollwertiges französisches Departement transformiert werden soll. Das klare Ergebnis lässt vermuten, dass die Frauen bei ihren Männern gute Überzeugungsarbeit geleistet haben.
Das Zitat
„Wir werden Mayotte zur schönsten Insel Frankreichs machen.“
Das versprach Gérald Darmanin 2023 bei einer Stippvisite auf der Inselgruppe Mayotte. Der französische Innenminister informierte sich vor Ort über die Polizeioperation Wuambushu, was Rückeroberung in der Lokalsprache Mahore bedeutet. Ein bezeichnender Name, denn die Mahorais fürchten den starken Zustrom illegaler Flüchtlinge – sie machen bereits 50 Prozent der Bevölkerung aus.
Mayotte bat deshalb Paris um die Entsendung von Polizeikräften. Sie sollen Küstenschutz und Grenzkontrollen verstärken und die unzähligen illegal auf Grande Terre errichteten Wellblechhütten räumen.
Aufgespürten Personen ohne Aufenthaltsrecht droht die Ausweisung, Kriminellen die Inhaftierung. Laut Minister war die Operation bisher erfolgreich: Die Gewalt gegen Menschen sei um 22 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Einbrüche, Diebstähle und Angriffe auf Eigentum um 28 Prozent gesunken.
Skurriles, Rekordverdächtiges, Typisches: Weitere Teile unserer Länderkunde-Serie finden Sie hier.
