Flugtaxi-Unternehmen droht der Rausschmiss aus Nasdaq

Düsseldorf,Frankfurt Dem Flugtaxi-Unternehmen Lilium droht ein „blauer Brief“: Die US-Techbörse Nasdaq dürfte dem Unternehmen aus dem bayrischen Weßling in den kommenden Tagen mitteilen, dass der Verbleib an der Handelsplattform gefährdet ist. Grund dafür ist der anhaltend niedrige Aktienpreis.

Seit nunmehr 30 Handelstagen notiert die Aktie von Lilium unterhalb der Marke von einem Dollar. Das ist die Frist, nach der die US-Börse Unternehmen in der Regel ein Schreiben schickt und mahnt, dass die Voraussetzungen für ein Listing an der Nasdaq nicht erfüllt sind. Sogenannte Pennystocks werden nicht lange toleriert.

Wer drinbleiben will, muss dann handeln. Doch für das Team um den früheren Airbus-Manager Klaus Roewe, der seit August CEO bei Lilium ist, wird das nicht einfach. Einen Anteilsschein an der Firma konnten Anleger am Mittwochabend für 54 Cent kaufen. Das sind fast 94 Prozent weniger als beim Börsengang. Und der Trend zeigte zuletzt weiter abwärts.

Das schwindende Vertrauen hat seinen Grund: Lilium hat bisher weder Einnahmen noch einen zertifizierten Flieger. Ziel ist, mit siebensitzigen, elektrischen Passagierjets Menschen etwa von München nach Nürnberg zu befördern. Doch um den Lilium-Jet zu bauen und an den Start zu bringen, fehlen noch Hunderte Millionen Dollar.

Geld, das im aktuellen Marktumfeld noch schwieriger zu bekommen ist als vor zwei, drei Jahren, als ein großer Hype um die elektrischen Senkrechtstarter herrschte.

180 Tage Zeit, um Nasdaq-Anforderungen nachzukommen

Bei Lilium ist man trotzdem optimistisch. „Wir werden die Entwicklung aufmerksam beobachten und – wenn nötig – aktiv Maßnahmen ergreifen, um die Bedingungen einer weiteren Notierung auch in Zukunft zu erfüllen“, sagte ein Sprecher des Unternehmens dem Handelsblatt.

Prototyp

Der Flieger soll Vorteile eines Hubschraubers und eines kleinen Flugzeugs kombinieren – und dabei leise und umweltfreundlich fliegen.

(Foto: Reuters)

Nach den Regeln der Nasdaq bleiben dem Unternehmen 180 Tage Zeit, sich zu bewähren. In diesem Zeitraum muss die Firma an mindestens zehn aufeinanderfolgenden Tagen einen Schlusskurs von mehr als einem Dollar aufweisen. Der Lilium-Sprecher wies darauf hin, dass „unter bestimmten Bedingungen sogar eine weitere Fristverlängerung von 180 Tagen möglich ist“. Die Chancen für einen Verbleib an der Nasdaq schätze man als „sehr gut“ und den schwachen Kurs als „vorübergehendes Phänomen“ ein, ließ die Firma verlauten.

„Unser aktueller Aktienkurs spiegelt nicht den fundamentalen Wert unseres Unternehmens wider, das von einem allgemeinen Marktrückgang für Aktien von wachstumsstarken Unternehmen in der Entwicklungsphase erfasst wurde“, sagte der Sprecher.

Tatsächlich sind Techwerte vor gut einem Jahr fast kollektiv eingebrochen. Stand der Nasdaq-100, also der Aktienindex für die hundert an der Nasdaq gelisteten Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung (ausgenommen Finanzunternehmen), Ende April 2022 noch bei knapp 14.300 Punkten, sind es aktuell weniger als 13.000. Und Lilium ist mit seinem Pennystock-Problem nicht allein. Hunderte Unternehmen befinden sich derzeit unterhalb der Ein-Dollar-Grenze.

Lilium sieht sich ob der Situation nicht ohnmächtig: Das Unternehmen erwarte, dass sich „Fortschritte sowohl im technischen Bereich wie auch bei der Kapitalbeschaffung“ im Aktienkurs widerspiegeln würden und die Mindestpreisanforderungen der Nasdaq für Lilium in Zukunft kein Thema mehr sein werden.

Von 420 Spacs notieren nur 35 über dem Ausgabepreis

Lilium war im September 2021 mithilfe einer Mantelfirma an die Börse gegangen. Sogenannte „Spacs“ (kurz für Special Purpose Acquisition Company) werden nur zu dem Zweck gegründet und gelistet, eine andere Firma im Schnellverfahren an den öffentlichen Kapitalmarkt zu bringen. Aus Sicht von Kritikern gelangen dadurch auch viele Jungunternehmen an die Börse, die die Voraussetzungen dafür eigentlich nicht erfüllen.

Daten von Spactrack scheinen ihnen Recht zu geben: In der Datenbank sind 420 Firmen aufgelistet, die seit 2019 per Spac an die Börse gegangen sind. Nur 35 notieren derzeit über dem typischen Ausgabepreis von zehn Dollar.

Für Lilium entwickelt sich dabei nicht nur der niedrige Aktienkurs, sondern auch das Listing selbst zunehmend zur Belastung. Einerseits muss der Flugtaxi-Bauer Regularien erfüllen und beispielsweise regelmäßig über den Geschäftsverlauf berichten. Das bedeutet Aufwand und Kosten, denn alle Aussagen gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC sind hochgradig sensibel und müssen rechtlich intensiv geprüft werden.

Andererseits zieht Lilium derzeit kaum Nutzen aus der Notierung. In der Regel geht eine Firma an die Börse, um sich Geld zu beschaffen. Doch das scheint für Lilium derzeit undenkbar. Um bei einer Kapitalerhöhung eine signifikante Summe einzunehmen, müsste die Firma eine so große Menge an neuen Aktien platzieren, dass der Aktienbesitz der bisherigen Aktionäre enorm verwässert würde.

Zudem legen Börsen Mindest-Aktienpreise für eine Notierung fest. Beim Listing an der Nasdaq muss eine Aktie in der Regel mindestens vier Dollar kosten, unter gewissen Bedingungen sind auch nur zwei oder drei Dollar möglich.

Rückzugsüberlegungen wies Lilium auf Handelsblattanfrage jedoch zurück. Ein Delisting wäre wohl auch nicht trivial: So müssten etwa die Aktionäre abgefunden werden. Und das kostet wiederum Geld, das Lilium derzeit nicht hat.

Mitgründer Wiegand: „Uns fehlen circa 300 Millionen Dollar bis zum bemannten Erstflug.“

Vielmehr braucht das Flugtaxi-Unternehmen frische Mittel für die letzte und wichtigste Entwicklungsphase des elektrischen Senkrechtstarters: den Bau des Serienflugzeugs und dessen Zulassung. Schon vor einigen Monaten hatte Lilium mitgeteilt, dass bis zur Zulassung noch rund eine halbe Milliarde Dollar benötigt werden. Laut einem vor wenigen Tagen publizierten Aktionärs-Brief verfügte das Unternehmen Ende 2022 noch über 206 Millionen Euro an Liquidität. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung des Unternehmens liegt derzeit bei gut 220 Millionen Euro.

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Mitgründer und Innovationsvorstand Daniel Wiegand konkretisierte kürzlich gegenüber dem Handelsblatt Kapitalbedarf und Finanzierungspläne: „Uns fehlen circa 300 Millionen Dollar bis zum bemannten Erstflug.“ Das Unternehmen sei in Gesprächen über eine neue Finanzierungsrunde und spreche mit Behörden außerdem über eine mögliche staatliche Technologieförderung.

Siebensitzer

Der Passagierjet soll Platz für sieben Menschen bieten.

(Foto: Lilie)

Die Gelder werden zunehmend dringend gebraucht. Denn die Fertigung des Serienjets läuft bereits an. Der erste Flug mit einem Piloten an Bord ist laut Wiegand für die zweite Jahreshälfte 2024 geplant. Die Version des Fliegers, die Lilium bereits testet, wird vom Boden aus gesteuert.

Umsätze wird das Jahr 2024 aber selbst im Erfolgsfall wohl noch nicht bringen. Vielmehr läutet der erste pilotierte Flug eine weitere Testphase ein. „Für die Zertifizierung werden wir mit bis zu sechs Flugzeugen arbeiten. Diese Phase wird etwa eineinhalb Jahre dauern.“ Ob Lilium dann noch an der Nasdaq ist und was ein Rausschmiss für die Firma bedeuten würde, ist noch nicht zu sagen. Der Unternehmenssprecher sagte: „Wir rechnen nicht mit einem Ausscheiden und spekulieren deshalb auch nicht darüber.“

Mehr: Lilium startet Bau des Serienjets – und braucht mehr Geld

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