Ergo-Manager Theodoros Kokkalas über Deutschlands Krise und Komplexität

Der 1964 in Athen geborene Theodoros Kokkalas steht seit Anfang 2020 an der Spitze des Deutschlandgeschäfts der Ergo. Das Tochterunternehmen der Munich Re, das zu den größten deutschen Versicherern zählt, galt lange als Krisenfall, hat sich aber in den vergangenen Jahren stabilisiert. Kokkalas hat in Piräus, Athen und Hannover studiert und fast 25 Jahre in führenden Positionen bei Versicherern in seinem Heimatland gearbeitet.

QUADDEL: Herr Kokkalas, bevor Sie nach Deutschland kamen, haben Sie unter anderem das Geschäft der Ergo in Griechenland und der Türkei geleitet. Wie unterscheiden sich die Kunden in den Ländern?

Theodoros Kokkalas: Die Menschen in den südlichen Ländern leben mehr von heute auf morgen und nehmen Risiken weniger ernst. Das ist vielleicht gut fürs spontane Wohlgefühl, aber es ist nicht weise. Das Leben hält schließlich viele Überraschungen bereit, und diese sind nicht immer positiv.

QUADDEL: Die Deutschen sind also ängstlicher – und schließen deshalb mehr Versicherungen ab?

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Kokkalas: Im Durchschnitt ist das so. Ich würde es risikobewusster nennen. Ich finde das aber nicht nur deshalb eine richtige Einstellung, weil das Absichern von Risiken unser Geschäft ist. In die Absicherung erheblicher Lebensrisiken investiertes Geld ist immer sinnvoll angelegt.

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QUADDEL: Die Welt scheint derzeit so unsicher wie lange nicht. Sind das besonders gute Zeiten für Versicherungen?

Kokkalas: So einfach ist das nicht. Das Bewusstsein für Risiken steigt zwar, aber gleichzeitig haben zum Beispiel viele Menschen wegen der Inflation weniger Geld übrig. Deshalb verschieben sich die individuellen Prioritäten, und Versicherungen stehen da dann eher hinten an.

QUADDEL: Können Sie in Deutschland von Ihren Erfahrungen während der Krise in Griechenland profitieren?

Kokkalas: Ich war fast mein ganzes Berufsleben über mit kritischen Situationen konfrontiert. Griechenland befand sich fast zehn Jahre in einer schweren ökonomischen Krise, die aber mit der aktuellen Lage in Deutschland überhaupt nicht vergleichbar ist. Auch wenn jede Krise anders ist, entwickelt man Mechanismen, die man grundsätzlich in schwierigen Situationen anwenden kann. Als ich vor vier Jahren hierherkam, bin ich trotzdem davon ausgegangen, dass das Umfeld in Deutschland so stabil wie in den Jahren zuvor sein würde. Das hat sich nicht bewahrheitet.

QUADDEL: Wie hat sich Ihr Bild von Deutschland verändert?

Kokkalas: Deutschland ist wirtschaftlich immer noch ein sehr starkes Land, aber viele Faktoren, die das Geschäftsmodell Deutschlands unterstützt haben, sind heute nicht mehr gegeben. Dazu zählen zum Beispiel die günstigen Energiepreise und der ungehinderte Export. Und hier gibt es sehr viele Vorschriften, Regulierungen und Reportinganforderungen, die wir – anders als zum Beispiel die Griechen – auch alle einhalten – was auch richtig ist. Regeln sind wichtig, aber Bürokratie kann sich manchmal auch nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Deutschland muss sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls anpassen: mehr Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit, sich trauen, Regeln zu hinterfragen, und unnötige Komplexität und Bürokratie konsequent abbauen. Das Bewusstsein dafür ist bisher nur eingeschränkt vorhanden.

QUADDEL: Griechenland scheint die Trendwende geschafft zu haben. Muss es uns erst schlechter gehen, bevor es besser wird?

Kokkalas: Das hoffe und glaube ich nicht. Griechenland ist durchs Feuer gegangen, aber jetzt auf einem guten Weg. Dort regieren jetzt Politiker, denen es wichtiger ist, sinnvolle und nicht nur angenehme Entscheidungen zu treffen.

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QUADDEL: Ist das auch Ihre Leitlinie als Manager?

Kokkalas: Wir müssen vor allem flexibel sein. Früher hat man Pläne für die nächsten fünf Jahre gemacht, das ist heute nicht mehr realistisch. Das Umfeld ist so dynamisch, dass man sich ständig anpassen muss.

QUADDEL: Was heißt das konkret für Ergo?

Kokkalas: Trotz aller Dynamik die Risiken beständig zu managen und für unsere Kunden auch in Zukunft beherrschbar zu machen, das ist unsere Kernaufgabe. Aber wir müssen uns auch kontinuierlich verbessern. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Komplexität in unserem Geschäft so weit wie möglich zu reduzieren. Das gilt für den Kontakt mit den Kunden, aber es gilt auch für unsere internen Strukturen, Prozesse und Produkte. Hier wollen wir viel effizienter und effektiver werden.

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QUADDEL: Nach vielen Jahren der Restrukturierung hat sich Ergo stabilisiert. Ist es wieder Zeit für ein neues Sparprogramm?

Kokkalas: Ergo ist heute kein Restrukturierungsfall mehr, sondern ein wichtiger und solider Teil des Munich-Re-Konzerns. Es geht nicht um Umstrukturierungen, sondern um kontinuierliche Verbesserungen. Dabei sparen wir nicht nur, sondern investieren auch, vor allem in unsere Mitarbeiter und in neue Technologien. Und wir wollen die Kultur so verändern, dass sich alle dafür begeistern, die Komplexität radikal abzubauen.

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QUADDEL: Versicherer sind konservative Unternehmen. Wie soll das gehen?

Kokkalas: Der Abbau interner Bürokratie ist in allen Unternehmen ein langer und mühsamer Weg. Wir müssen sowohl die Führungskräfte als auch alle Mitarbeiter motivieren, ihn mit uns zu gehen. Dafür gibt es verschiedene Initiativen, die durchaus auch von den Mitarbeitern selbst initiiert werden. Solche Best-Practice-Beispiele stellen wir auch intern vor und verschaffen ihnen Anerkennung.

QUADDEL: Viele dürften fürchten, dass sie mit den Vorschlägen womöglich ihren eigenen Job überflüssig machen.

Kokkalas: Im Gegenteil: Sie können ihre Tätigkeit durch unternehmerisches Denken vor allem einfacher und wertstiftender machen. Wo zum Beispiel im Vertrieb oder im Kundenservice persönliche Beratung notwendig ist, wird es sie auch künftig geben. Deshalb investieren wir auch in unsere Vertriebsorganisation, unter anderem in digitale Werkzeuge für unsere Berater. Die sollen ihnen das Geschäft so erleichtern, dass sie sich noch mehr als bisher auf ihre Kunden konzentrieren können. Dafür vereinfachen wir auch den Beratungsprozess und versuchen uns auf das Wesentliche zu fokussieren.

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QUADDEL: Geht dieses Streben nach mehr Effizienz nicht zulasten der Kunden?

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Kokkalas: Nein, sie profitieren davon, sowohl im Service als auch bei den Kosten: Wenn ein Kunde zum Beispiel einen Unfallschaden nur noch fotografieren muss, ist das für ihn viel einfacher und angenehmer als das Ausfüllen einer Vielzahl komplizierter Formulare. Hier helfen auch digitale Sprachassistenten in der Kundentelefonie oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Klassifizierung eingehender Dokumente.

QUADDEL: Mit der Inflation steigen auch Ihre Kosten. Können Sie diesen Effekt über höhere Beiträge weitergeben?

Kokkalas: Die Inflation beeinflusst auch unser Geschäft. Wir spüren sie vor allem in der Schaden-/Unfallversicherung. Das müssen wir bei den Beiträgen berücksichtigen, um unser Leistungsversprechen langfristig einhalten zu können. Die Kalkulation ist nicht immer einfach, und wir wollen die höheren Kosten auch nicht eins zu eins weitergeben. Wir wollen auch deshalb effizienter werden, um einen Teil der Inflation zu kompensieren.

QUADDEL: Wo ist die Nachfrage derzeit besonders stark?

Kokkalas: Überall dort, wo es darum geht, das Wesentliche zu versichern. Also etwa bei Risikolebens-, Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Auch Zusatzpolicen in der Krankenversicherung sind stark gefragt.

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QUADDEL: Gerade das Geschäft mit Lebensversicherungen ist aber schwierig. Zuletzt haben Kunden hier sogar Geld abgezogen.

Kokkalas: Das betrifft vor allem das Geschäft mit Einmalbeiträgen, das in der aktuellen Zinssituation weniger attraktiv erscheint. Mittelfristig wird es sich aber stabilisieren. Generell gilt: Die Lebensversicherung ist immer noch das einzige Produkt für die Altersvorsorge, dass eine lebenslange Rente garantieren kann. Wir haben unser Angebot schon lange auf flexible und kapitalmarktnahe Policen ausgerichtet, die eine attraktive Rendite und angemessene Sicherheit bieten.

QUADDEL: Können Sie guten Gewissens zum Abschluss einer Lebensversicherung raten?

Kokkalas: Ja, ohne Frage. Das habe ich schließlich für mich selbst und für meine Familie auch getan.

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