Eine Wanderung durch die Cevennen mit Robert Louis Stevenson

Dass eines Tages ein Wanderweg nach ihm benannt werden würde, hätte sich der Dichter Robert Louis Stevenson wohl nicht träumen lassen. Und dass ihm diese Ehre nicht in den Highlands seiner schottischen Heimat zu Teil werden würde, sondern in den Cevennen, wäre ihm wahrscheinlich ganz und gar abwegig vorgekommen. So aber ist es gekommen: Jetzt führt ein Stevenson-Pfad durch den südöstlichsten Zipfel des Zentralmassivs, durch dieses wilde Hochland mit seinen kuppenförmigen Plateaus und dichten Wäldern, mit seinen Felsen und Schluchten, durch die sich Flüsse wie der Tarn und die Jonte schlängeln. Es ist eine Welt fern der Welt, ein Universum der Einsamkeit, und bis heute ist das Département Lozère, in dem die Cevennen liegen, die am dünnsten besiedelte Region Frankreichs.

Ablenkung von der Geliebten

Das war genau nach Stevensons Geschmack, der im Sommer des Jahres 1878 Einsamkeit und Ablenkung suchte, denn seine Geliebte Fanny Osborne war soeben nach Amerika zu ihrem Mann zurückgekehrt und unentschlossen, ob sie sich von diesem scheiden lassen und Stevenson heiraten wollte – was sie zwei Jahre später schließlich tat. Außerdem interessierte er sich für den Aufstand, den die protestantischen Kamisarden in den Cevennen zwischen 1702 und 1715 gegen die Krone geführt hatten, eine wenig bekannte Episode der französischen Geschichte, wobei sich der Namen der Aufständischen von „camisa“ ableitete, dem okzitanischen Wort für das einfache Hemd, das sie im Kampf trugen. Als Enkel eines presbyterianischen Pastors war er von der religiösen Inbrunst, Wahrhaftigkeit und Kompromisslosigkeit der Kamisarden beeindruckt und wollte ihrem Wagemut an den Stätten des einstigen Geschehens nachspüren.


Wandern, schauen, entspannen: Unterwegs in den Cevennen
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Bild: Harald Sager

Im August 1878 reiste Stevenson in die Ortschaft Le Monastier-sur-Gazeille nördlich der Cevennen, verbrachte dort einen Monat unter der Dorfbevölkerung, kaufte eine Eselin, der er den Namen Modestine gab, und zog am 22. August los. Zwölf Tage später kam er im 190 Kilometer weiter südlich gelegenen Saint-Jean-du-Gard an. Eine derartige Distanz in so kurzer Zeit zu bewältigen ist beachtlich, zumal er es mit einer überaus widerspenstigen Eselin zu tun hatte, die nur mithilfe eines Rohr- und später eines Stachelstocks zu bewegen war, das Auf und Ab der Hügellandwanderung mitzumachen. Und dazu schrieb er ja auch noch sein Tagebuch, das im Folgejahr auf mehr als hundert Seiten unter dem Titel „Travel with a Donkey in the Cevennes“ erscheinen sollte.

In Monastier hatte man sich über den Schotten noch gewundert. Nicht nur darüber, dass er sich überhaupt freiwillig so lange hier aufhielt, sondern vor allem darüber, dass er die Cevennen durchqueren wollte: „Von einem Reisenden meiner Sorte hatte man bis dahin in dieser Gegend noch nie gehört“, schrieb Stevenson in sein Tagebuch. Das hat sich in der Zwischenzeit radikal geändert. Heute gehören die Cevennen, die 1970 zum Nationalpark und 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurden, zu den populärs­ten Wandergebieten Frankreichs – und einer der Weitwanderwege, der Grande Randonnée Nr. 70, trägt den Namen des schottischen Poeten.

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