DFB: Unter Nagelsmann ist Deutschland noch schlechter

Die österreichischen Fans sangen Unerhörtes. “Der DFB ist so am Oarsch!” Das gehört sich doch nicht als Gastgeber, man kann die Wahrheit auch charmanter formulieren. Aber die Stimmung war eben ausgelassen in Wien. Das Spiel gegen den einst großen Nachbarn war längst gewonnen in dieser 88. Minute.

Ralf Rangnickder Trainer der Heimmannschaft, konnte es sich in diesem Moment leisten, den Kapitän David Alaba auszuwechseln, damit der beste Spieler dieses Abends Applaus bekam. Gegen das Deutschland des Jahrgangs 2023 geht das schon mal.

Verliert die deutsche Mannschaft, ist man nicht mehr groß überrascht. Über die Art und Weise dieser Niederlage war man das schon. Gegen ein tapferes, aber biederes Team aus Österreich kam sie mit einem 0:2 sogar noch gut weg. Sie durchlebt seit fünf Jahren ein Tief, aber so schwach hat man die Mannschaft lange nicht mehr erlebt. Das Zuschauen bereitet Schmerz.

Nach vier Spielen lässt sich festhalten: Unter Julian Nagelsmann ist nichts besser, dafür manches noch schlechter geworden. Die Leistungen von Berlin, wo er 2:3 gegen die Türkei verlor, und nun Wien nehmen den Fans gut ein halbes Jahr vor der EM beinahe den letzten Rest Hoffnung auf ein ordentliches Turnier.

Nagelmann zieht die Dinge durch – nur halt die Falschen

Der deutsche Komplettausfall hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel wiederholte Nagelsmann gegen Österreich sein Experiment mit Havertz als linkem Verteidiger. Eins muss man ihm lassen, er zieht Dinge durch. Doch wieder brachte es nichts. Der Stürmer ist dort verschenkt, die Sache liegt ihm einfach nicht. Er stand selten richtig, ging voreilig auf den Ballführenden, erkannte die Gefahr hinter sich nicht. Selbst bei Einwürfen schwächelte er.

Havertz war nur ein Detail, Nagelsmann setzt auch auf anderen Positionen auf die Falschen. Julian Brandt ist ein Talent am Ball, aber er hat es nie zur Reife gebracht. Mit ihm anzugreifen glich in den beiden Duellen dem Versuch, mit gekochten Spaghetti Mikado zu spielen.

Lesen Sie auch  Die A-Ligen zielen auf Canberra und Auckland für die Vereinserweiterung vor der Saison 2024/25 ab

Niclas Füllkrug macht nur bei Toren eine gute Figur, bei allem anderen sieht er schlecht aus. Er ist nicht in der Lage, zu kombinieren. Als Joker kann er gute Dienste tun, für die Startelf qualifiziert ihn eher wenig. Nach einem verstörenden Auftritt wechselte Nagelsmann ihn zur Halbzeit aus.

Und Mats Hummels war mit Michael Gregoritsch sowie Laufduellen jeder Art überfordert. Der Freiburger Stürmer entwischte ihm zwei Mal im Rücken, weil Hummels den Raum hinter sich regelmäßig vernachlässigt. Beim Tor zum 2:0 verhielt sich Hummels wie im Champions-League-Finale von Wembley 2013. Er machte einen Ausfallschritt, als würde er einen Luftballon zertreten, der vom Prater herübergeweht war. Damals war es Arjen Robben, der diesen hilflosen Akt des Verteidigens zum Tor nutzte. Diesmal Christoph Baumgartner aus Sinsheim. Wer darf als Nächstes?

Eine defensive Struktur hat Nagelsmann der Mannschaft nicht beigebracht, vielmehr ihr den letzten Rest noch ausgetrieben. Auch hat er mit ihr keine Idee erarbeitet, wie sie das Spiel aufbauen und ein Tor schießen soll. Das muss man erst mal hinkriegen: mit Spielern aus Barcelona, München, London über gut neunzig Minuten an der Aufgabe scheitern, den Ball über drei Stationen zirkulieren zu lassen.

Chancen nur aus Zufällen

Die zwei einzigen Chancen gegen Österreich durch Leroy Sané und einen Fernschuss von Joshua Kimmich resultierten aus Zufällen. Der Torschütze des lange überfälligen 1:0, Marcel Sabitzer, erwischte, so komisch es klingen mag, keinen guten Abend. Der Dortmunder verlor extrem viele Bälle, seine Pässe waren ungenau, er lief sich fest.

Lesen Sie auch  UW-Crew gewinnt olympisches Gold bei den 36'-Spielen in Berlin für die „Boys In The Boat“ unter der Regie von George Clooney – Sports Techie

Aber es reichte locker an diesem Abend, weil Wien eine verunsicherte deutsche Mannschaft erlebte. Wo früher ein Schrei war, sprach bei Joshua Kimmich die Verzweiflung aus jeder Pore. Havertz schlich bei seiner Auswechslung vom Feld und vergrub sein Gesicht in den Händen. A penny for your thoughts, my dear.

İlkay Gündoğan kam einem in seinen vergeblichen Bemühungen, der Mannschaft zwei ordnende Füße zu geben, wie der einsamste Mensch auf der Welt vor. “So wirst du nicht erfolgreich”, sagte der Kapitän nach dem Spiel im Fernsehen mit blassem Gesicht.

Und Leroy Sané leistete sich zwei Frustfouls. Ende der ersten Halbzeit zog er nach einem verlorenen Zweikampf durch, traf absichtlich Ball und Gegner. Solche Szenen sind selbst in der Kreisklasse Vogelsberg selten geworden. Nach der Pause sah er nach einem Foul des Mainzer Ersatzspielers Phillipp Mwene sowie einer von ihm selbst angezettelten Schubserei Rot.

Sané entschuldigte sich später bei der Mannschaft. Aber sein Verhalten fällt nicht nur auf ihn zurück. Es war sinnbildlich für die ungeführte deutsche Mannschaft. Wie überhaupt es die Spieler waren, die die Enttäuschung und den Zorn der Fans und von Rudi Völler auf sich zogen. “Sie haben sich gesonnt und ausgeruht”, spottete der DFB-Sportdirektor.

Die deutschen Spieler können einem leidtun

Doch die deutschen Spieler können einem inzwischen leidtun. Auf Hilfe von Außen können sie wohl nicht zählen. Nagelsmanns sportliche Ideen helfen der Mannschaft nicht.

Ob es der Sache dient, die Reihen zu schließen, indem er “eine kritische Medienlandschaft” beklagte? Einem deutschen Journalisten, der ihn auf der Pressekonferenz auf seine Experimente bei der Aufstellung ansprach, stellte Nagelsmann die Gegenfrage, wie er Havertz‘ Leistung gesehen habe. Der Journalist antwortete, “nicht schlecht, ganz gut, wie schon gegen die Türkei”. Damit dürfte er zu einer Minderheit zählen.

Lesen Sie auch  Der Liga gehen die Afrikaner aus

“Die erste vernünftige Beurteilung von Kai Havertz in den letzten drei Tagen”, lobte Nagelsmann den Journalisten. Unterhaltsam ist er, der neue Bundestrainer. Aber offenbar ist er der Meinung, dass Wasser bergauf fließt. Und es war herablassend denjenigen gegenüber, die vom Gegenteil überzeugt sind.

In dieser Form keine Chance bei der EM

Fehler scheint er nie bei sich zu suchen. Er wolle sich nicht in die “Opferrolle” begeben, sagte Nagelsmann nach der Österreich-Klatsche. Damit meint er die angebliche Abwärtsspirale, in der sich seine Mannschaft seit Jahren, also ohne sein Zutun, befinde. In der Opferrolle sieht ihn jedoch niemand. Denn er ist eine Führungskraft, also ist er, wenn man seiner Terminologie folgt, ein Täter.

Unter Hansi Flick war die Mannschaft hinten anfällig, aber in der Offensive war sie gefährlich. Unter Nagelsmann erlebte sie ein sehr kurzes Zwischenhoch auf der USA-Reise. Inzwischen ist sie nach nur vier Spielen unter seiner Anleitung an einem neuen Tiefpunkt angelangt.

In dieser Form hat sie bei der EM keine Chance, in dieser Form hätte sie sich für die EM gar nicht qualifiziert. Wenn Österreich wenigstens einen guten oder zumindest schnellen Stürmer gehabt hätte, wäre Deutschland wahrscheinlich mit fünf Toren Unterschied untergegangen.

Das ist ja die Pointe. Österreich denkt, gut gespielt zu haben, wie die Türkei das am Samstag auch tat. Die österreichischen Journalisten befassten sich mit der Gefahr einer überbordenden Euphorie. Sie könnten einem Trugschluss aufsitzen. Der Gegner war bloß Julian Nagelsmanns Deutschland.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.