Der Arlecchino – der spannendste historische Eisenbahnzug von Italien

Der Fußboden summt und vibriert, der Kaffeebecher wandert von selbst auf dem Klapptisch umher, während die Gäste in weichen Polstern sitzen und aus dem Fenster blicken, wo Hügel, Haine und ab und an ein altrömischer Aquädukt vorbeifliegen – der „Arlecchino“ donnert durch Italien.

Dieser Zug, zu Deutsch „Harlekin“, wird so genannt wegen seines farbenfrohen Interieurs; er ist der Stolz der italienischen Eisenbahn. Beziehungsweise, er ist es wieder. Denn zum ersten Mal verkehrte das futuristische Gefährt schon im Sommer 1960, als in Rom die Olympischen Spiele stattfanden.

Auf seiner Eröffnungsfahrt zwischen Mailand und Venedig erreichte er eine Geschwindigkeit von 187 km/h. Für damalige Verhältnisse war es ein Höllentempo.

Wie der VW Käfer für Westdeutschland waren die windschnittigen Elektroschnellzüge ein Symbol der wiedererstarkten italienischen Wirtschaft, bis sie in den 90ern aus dem Verkehr gezogen wurden.

Nur 14,50 Euro kostet die Fahrt

Liebevoll restauriert von der Fondazione FS, einer Kulturstiftung der italienischen Staatsbahn, saust der „Harlekin“ seit Oktober 2020 wieder zu bestimmten Terminen durch Italien. Und nicht nur er. Die Fondazione hat etliche historische Züge aufs Gleis gebracht, von denen viele zwar nicht fahrplanmäßig, aber ziemlich häufig und in der Regel sehr günstig durch die schönsten Ecken des Landes fahren.

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Ein Ticket für den „Harlekin“ von Mailand nach Bergamo und Brescia beispielsweise kostet gerade einmal 14,50 Euro. Neben dem „Harlekin“ sind im Auftrag der Fondazione auch Züge mit alten Dampf-, Diesel- und Elektroloks unterwegs, viele aus den 30er- und 50er-Jahren.

In historischen Zügen durch Italiens schönste Landschaften

In historischen Zügen durch Italiens schönste Landschaften

Diese: Stiftung FS Italiane

Schon länger gilt Italien als Vorbild für modernes Bahnfahren. Im Gegensatz zu Deutschland sind die Züge schnell, leise, sauber und vor allem pünktlich. Wer etwa von Rom nach Mailand möchte, hat die Wahl zwischen den knallroten staatlichen Trenitalia-Superschnellzügen und den dunkelroten Italo-Zügen des privaten Betreibers NTV – beide brauchen für die knapp 600 Kilometer gerade mal drei Stunden, beide bieten mehr Komfort und besseren Service als der ICE.

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Entsprechend hoch sind die Passagierzahlen. Die italienische Verkehrswende ist so erfolgreich, dass Experten sie sogar für die Pleite der Traditionsfluglinie Alitalia verantwortlich machen.

Die Front ist eine Aussichtskanzel

Der stilvollste Vorgänger dieser Erfolgszüge ist der „Arlecchino“. Entworfen von Stararchitekt Giò Ponti und dem Designer Giulio Minoletti, war der Zug allein schon wegen seines Designs eine Ikone. Plüschige Samtsessel, Gardinen vor den Fenstern, Wände aus Kunstleder; jeder der drei Großraumwaggons hat seine eigene Grundfarbe: Blau, Beige oder Grün.

Alle Plätze sind erster Klasse, mit großzügigem Sitzabstand, je zur Hälfte in Einer- und Zweier-Sitzkonfiguration. Im vierten Wagen ist die chromglänzende Bordbar untergebracht, an der weiß-livriertes Personal Espresso, frisches Gebäck und hervorragenden Schaumwein serviert.

Panoramablick aus der Kanzel

Panoramablick aus der Kanzel

Quelle: Archiv der FS-Stiftung

Der Clou ist der rundlich gestaltete Wagen an der Spitze: Wo bei einem normalen Zug oder Triebwagen der Führerstand ist, hat der „Harlekin“ vorn ein verglastes „Belvedere“, eine aerodynamisch geformte Aussichtskanzel mit acht (nicht reservierbaren) Drehstühlen, deren Design ein bisschen an die Brücke von „Raumschiff Enterprise“ erinnert.

Der Lokführer sitzt dahinter, eine halbe Treppe höher, in einer Kammer mit erhöhtem Ausguck.

Auch der Orient-Express kommt wieder

Ein gutes Jahrzehnt dauerte die Restaurierung des letzten existierenden „Harlekins“, der 2009 beschmiert und vor sich hin rostend in einer Lagerhalle entdeckt worden war. Viel war nicht mehr von ihm übrig, deshalb bestand ein Hauptteil der Arbeit aus dem detailgetreuen Nachbau der Inneneinrichtung nach alten Fotos und Skizzen.

Nun ist der Zug eine fast perfekte Replik seiner Urform, mit Ausnahme einiger Updates wie Steckdosen zum Laptop-Laden, dezenten Modernisierungen im Barwaggon, zeitgemäßen Toiletten und der Integration in das reguläre Buchungssystem von Trenitalia. Nicht entscheidend verbessert hingegen wurde die Dämpfung, siehe oben – Tempo 180 im „Harlekin“ ist, heute wie früher, eine ziemliche Rüttelpartie.

Bevor der

Bevor der “Arlecchino” restauriert wurde, hatten sich Vandalen an ihm ausgetobt

Diese: Stiftung FS Italiane

Buchbar sind Fahrten mit den historischen Zügen über die Website der Fondazione, sortiert nach Region (von den Abruzzen bis zur Toskana), Zugart (von der Dampflok bis zum Elektrotriebzug) oder Monat (von April bis November). Am häufigsten vertreten sind Dampf- und Dieselgarnituren, die Waggons sind manchmal ein Sammelsurium diverser Stilrichtungen.

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Egal für welche Tour man sich entscheidet: Jede davon bietet eine hervorragende Möglichkeit, entschleunigt durch die schönsten Regionen Italiens zu reisen und einen besonderen Blick auf das Land und seine besondere Eisenbahngeschichte zu werfen.

Wer es historisch, aber noch luxuriöser mag, kann demnächst übrigens auch mit dem ebenfalls wiederbelebten Orient-Express „La Dolce Vita“ durch Italien gondeln: Der französische Reisekonzern Accor plant noch in diesem Jahr die ersten Touren, etwa von Rom nach Portofino, Siena oder Palermo. Statt 14,50 Euro kostet ein Ticket dort dann aber mindestens 2000 Euro.

Mit Gardine und Samtbezug: Komfortsessel im Nobelzug

Mit Gardine und Samtbezug: Komfortsessel im Nobelzug

Diese: Stiftung FS Italiane

Info: Zugfahrt in die Vergangenheit

sterben FS-Stiftung2013 gegründet, pflegt und verwaltet das Erbe der italienischen Staatsbahn. Dazu gehören eine Flotte von 400 historischen Fahrzeugen, das Archiv und die Bibliothek sowie das Nationale Eisenbahnmuseum in Pietrarsa in der Nähe von Neapel – es liegt direkt an Italiens erster Eisenbahnstrecke, die 1839 eingeweiht wurde.

Weiteres Ziel der Stiftung ist es, das Bahnerbe durch touristische Angebote einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dazu zählt einerseits das Projekt „Binari senza Tempo“ („Zeitlose Schienen“), das rund 600 Kilometer stillgelegter Eisenbahnstrecken (insgesamt zwölf im ganzen Land) wiederbelebt.

Zum anderen werden Eintrittskarten für Fahrten in historischen Zügen verkauft, auch für den „Arlecchino“ – dessen nächste Tour führt am 30. April von Mailand nach Brescia (14,50 Euro für die einfache Fahrt). Infos und Buchungen unter fondazionefs.it/content/fondazionefs/en/itineraries.html

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