Bulgarien: An der Schwarzmeerküste trafen West- und Ostdeutsche aufeinander

Die Region

Fast 400 Kilometer Schwarzmeerküste mit unzähligen Stränden, Buchten und verträumten Städtchen bietet Bulgariens Riviera. Im Sommer wird es hier selten heißer als 28 Grad und pro Monat gibt es nur fünf bis sieben Regentage. In den 50er-Jahren entstanden unter kommunistischer Führung hier die ersten großen Ferienresorts: Albena, Goldstrand, Sonnenstrand; heute beliebt bei Kegelclubs, Pauschalreisenden und für Junggesellen-Abschiede – der halbe Liter Bier kostet hier schließlich umgerechnet nur knapp zwei Euro.

Doch wer Partyvolk und Bettenbunker hinter sich lässt, erlebt eine Region mit malerischer Landschaft, reicher Geschichte und dörflich-maritimem Charme. Highlights sind das Fischerdorf Tschengene Skele nahe Burgas und die Altstadt von Nessebar, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt.

Seit der Antike weckt der Küstenstreifen Begehrlichkeiten: Römer, Byzantiner und sogar die Mongolen drangen bis zur bulgarischen Küste vor. Kurz darauf folgte die ein halbes Jahrtausend andauernde Epoche unter osmanischer Herrschaft – zahlreiche Kirchen und Klöster haben trotzdem überlebt. Besonders sehenswert ist das in den Fels gehauene Aladja-Kloster, das nur einen Katzensprung vom trubeligen Goldstrand entfernt ist. Von außen unscheinbar, eröffnet sich innen ein Blick in das mittelalterliche Klosterleben mit Mönchszellen und Höhlenkirchen.

Quelle: Infografik WELT

Im Gegensatz dazu steht die Ästhetik der brutalistischen Betonarchitektur aus sozialistischer Zeit – etwa das Denkmal der bulgarisch-sowjetischen Freundschaft in der Küstenstadt Warna, das aktuell eine neue Karriere als Instagram-Kulisse macht. Verlassen hingegen ist die kolossale Villa „Perla 2“ von Bulgariens letztem Diktator Todor Schiwkow nahe Primorsko.

Ein Kleinod an der Schwarzmeerküste

Sosopol gilt als die älteste Stadt Bulgariens. Hier lässt sich durch enge Gassen flanieren, Grillfisch mit Meerblick genießen und hausgemachte Feigenmarmelade ergattern, die die Einheimischen vor ihren Wohnungstüren verkaufen. Die ersten thrakischen Siedlungen reichen bis in die Bronzezeit zurück, die Stadt selbst gründeten griechische Kolonisten im 7. Jahrhundert v. Chr. unter dem Namen Appollonia.

Die Stadt Sosopol an der Küste von Bulgarien

Geschichtsträchtig: die Stadt Sosopol an der Küste

Quelle: PJPHOTO/Alamy Stock Photo

Seitdem diente Sosopol als wichtiges Handelszentrum, zur Zeit des Byzantinischen und Osmanischen Reichs florierte der Seehandel weiter. An jeder Ecke der Stadt zeugen Relikte von der geschäftigen Vergangenheit: mittelalterliche Kirchen, Reste des alten Festungswalls und Grundmauern von antiken Tempeln prägen neben markanten Holzhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert das Stadtbild.

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Die verwinkelte Altstadt mit ihrem vorosmanischen Baustil ist einmalig in Bulgarien. Baden kann man auch – Sosopol hat zwei malerische Strände.

Ein Bad im pink schimmernden See

Der Atanassow-See nahe der Küstenstadt Burgas ist bekannt für seine ungewöhnliche Farbe: Das Wasser schimmert pink. Es ist zum Baden geeignet, denn es sind keine giftigen Chemikalien, die für den rosa Farbton sorgen, sondern mikroskopisch kleine Salinenkrebse. Wer will, lässt sich im salzhaltigen Wasser treiben oder deckt sich mit Heilschlamm ein; sogar eine kleine Massagehütte gibt es.

Bulgarien: Salinenkrebse geben dem Atanassow-See seine Farbe

Salzhaltig: Salinenkrebse geben dem Atanassow-See seine Farbe

Quelle: RooM/Getty Images

Der See wird nicht nur als Open-Air-Spa genutzt; jährlich werden hier über 40.000 Tonnen Salz gewonnen. Außerdem steht der nördliche Teil unter Naturschutz: Passend zur Wasserfarbe gibt es dort Flamingos zu bestaunen (deren rosa Farbenpracht von den Krebstieren rührt, die sie fressen). Viele weitere Zugvögel rasten auf ihrem Weg in den Süden hier und an der gesamten bulgarischen Küste.

Für Touristen erfand Bulgarien den Salat

Mitte der 50er-Jahre arbeitete die staatliche Balkantourismus-Agentur eifrig am Image Bulgariens als Urlaubsparadies für Ost und West. Gefragt war dabei ein einfaches, sommerliches Nationalgericht, das die traditionelle bulgarische Küche verkörpern sollte.

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Leider gab es das nicht, also erfanden die Touristiker es kurzerhand. So entstand der bis heute sehr beliebte Schopska-Salat – aus Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Gurken, Oliven und Schafskäse. Seinen Ursprung hat er in Druschba, einem der ersten Seebäder an der Schwarzmeerküste nahe Warna.

Quelle: bortonia (2)/Getty Images/Digital Vision Vectors; Infografik WELT

Die Zutaten stimmten die Erfinder dabei auf die Farben der bulgarischen Flagge ab: Rot, Grün und Weiß. Dass er eine erfundene Tradition ist, wissen bis heute selbst viele Einheimische nicht. Geschmacklich überzeugt er trotzdem.

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Am Kap Kaliakra stürzten 40 Jungfrauen in den Tod

40 Jungfrauen stürzten sich der Legende nach im 14. Jahrhundert am Kap Kaliakra gemeinsam in den Tod. Grund dafür war die Besetzung ihrer Heimat durch Truppen des Osmanischen Reichs. Auf ihrem Feldzug an der Küste nahmen sie die besagten Jungfrauen gefangen. Später sollten diese den verdientesten Soldaten als Geschenk überlassen werden.

Bis dahin waren die Frauen in einer der zahlreichen Höhlen an der Steilküste eingesperrt, hoch oben und zum Meer hin offen. Um ihrer Versklavung zu entgehen, fassten sie gemeinsam den Entschluss, die Freiheit im Tod zu finden. Damit keine von ihnen es sich in letzter Sekunde anders überlegen konnte, verflochten sie ihre Haare miteinander.

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Von Bayern nach Siebenbürgen

Knapp 500 Jahre später griff die bulgarische Unabhängigkeitsbewegung den Geist der Jungfrauen wieder auf: „Freiheit oder Tod“. 1878 erlangte Bulgarien die Unabhängigkeit von der türkischen Herrschaft. Wer heute an der Steilküste des Kaps entlangwandert, passiert eine Gedenksäule, die an die 40 Jungfrauen erinnert.

Das Zitat

„Wir aus der DDR waren immer die Minderheit am Goldstrand“

Die Schwarzmeerküste Bulgariens war einer der wenigen Orte, an denen Ost- und Westdeutsche sich vor 1989 im Urlaub begegneten. Familie Tretbar aus dem thüringischen Ronneburg sprach 2000 in einem Interview mit dem MDR über ihre damalige Urlaubserfahrung. Für DDR-Bürger sei Goldstrand deutlich teurer gewesen als für Wessis: „Neckermann warf die Bulgarienreisen für 400 Westmark auf den Markt – wir mussten 2500 ‚Ost‘ dafür bezahlen.“

Hinzu kam für jede Reisegruppe ein Stasi-Aufpasser. Der achtete darauf, dass niemand in Versuchung geriet, mit einem gefälschten westdeutschen Pass auf ein Ausflugsschiff nach Istanbul zu steigen und so Republikflucht über das Schwarze Meer zu begehen. Die Beliebtheit der bulgarischen Riviera ist bis heute ungebrochen: Jedes Jahr zieht es mehrere Hunderttausend Deutsche an die Sandstrände der Schwarzmeerküste.

Skurriles, Rekordverdächtiges, Typisches: Weitere Teile unserer Länderkunde-Serie finden Sie hier.

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