Bildband über den Kölner Dom: Eine Studie des Lichts

Dort im Eck der Terrasse, in dem früher die Kamera angeschraubt war, anderthalb Jahre lang, geschützt von einem kleinen Gehäuse, und munter vor sich hin fotografierte, alle zehn Minuten ein Bild, das jeweils direkt an einen Server geschickt wurde, zu jeder Tages- und Nachtzeit und über alle Jahreszeiten hinweg, bis es am Ende weit mehr als siebzigtausend waren, dort in der Ecke steht jetzt die zwei Meter zwanzig hohe Skulptur „1000“ von Horst Antes und blickt nicht weniger emotionslos auf Köln hinunter, als es früher der technische Apparat getan hat. Und die Kamera? Hanspeter Kottmair verzieht nicht für eine Sekunde die Mine. „Haben wir zurückgegeben“, sagt er, „wir sind doch keine Fotografen. Wir hatten einfach nur eine Idee.“ Und dann fügt er an: „Wir haben das als ein Dankeschön verstanden dafür, dass wir eine solche Aussicht genießen dürfen.“

Freddy Langer

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

Seit fünfunddreißig Jahren lebt das Ehepaar Kottmair im obersten Stockwerk des Brügelmann-Hauses am Kurt-Hackenberg-Platz. Der Ausblick ist so spektakulär, dass sich die Immobilienanzeige, mit der sie auf die Wohnung aufmerksam wurden, in ihren zwei Zeilen auf kaum anderes bezog – und dass sie sich damals vor dem Makler gehörig zusammenreißen mussten, um nicht augenblicklich jeden Spielraum bei den Preisverhandlungen zu verlieren. „Nordseite!“, war das einzige Argument, das sie kleinlaut gegen die Ausrichtung der Terrasse hervorbrachten.

Bis der Himmel in Orange, Rot und Violett getaucht ist

Aber muss das nicht so sein, dass die Sonne rechts aufgeht und links unter, geradeso, wie sie es über einer Landkarte machen würde? Und so streicht sie morgens sanft über die Südfassade der Kathedrale, als wolle sie das Dutzend zarter Fialen oder mehr entzünden, die das Mittel- und das Seitenschiff wie schlanke Kerzen flankieren, und bläht sich abends hinter dem Dom mächtig auf, bis der Himmel in Orange, Rot und Violett getaucht ist und die Kirche wie den Scherenschnitt eines mächtigen, gestrandeten Segelschiffs erscheinen lässt.





Bilderstrecke



Kölner Dom
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Zu jeder Tageszeit imposant

Jeden Tag, nein jede Stunde erscheine ein neues Bild und jedes sei schön und wunderbar und einzigartig, sind Elmi und Hanspeter Kottmair sich einig. Und als brauchte es dafür den Beleg von ganz oben, verwandelt sich in der kurzen Zeit, die wir auf der Terrasse verbringen, der Himmel von sattem Blau zu düsterem Schwarz. Wind kommt plötzlich auf, sodass die Hecke aus Hortensien ordentlich wackelt und der Lavendel in den Töpfen sich zur Seite neigt. Und Regen kündigt sich an. Wie aber haben sie dann aus den mehr als siebzigtausend Aufnahmen die 285 Bilder für ihren opulenten Bildband „Dom“ ausgewählt? Hanspeter Kottmair beißt sich auf die Lippe und schaut zum Dom, als erwarte er Hilfe von dort. „Haben wir nicht“, sagt er schließlich. „Wir haben es jemand anderen machen lassen. Es hat uns schlicht überfordert.“

Das automatische Kamerasystem, für das sich Hanspeter Kottmair entschieden hatte, wurde von Christian Rall eigens für Architekten entwickelt, damit deren Kunden später anhand Tausender von Bildern in einer Art Zeitraffer das Entstehen ihrer Gebäude nachverfolgen können. Dabei ging es Kottmair, der in Köln ein großes Architekturbüro führt, bei seiner Idee gerade nicht um eine Fortentwicklung, auch wenn am Dom wohl für den Rest aller Tage gebaut und ausgebessert werden wird – und der Neubau des Römisch-Germanischen Museums zu Füßen der Kathedrale dem Ehepaar Kottmair von den kommenden Jahren an die Aussicht von der Terrasse aus ein wenig trüben wird. Der Bildband „Dom“ ist kein Dokument der Zeit. Er ist ein Dokument des Lichts und was es anstellt, wie es über die Wirkung eines Gebäudes mitentscheidet, in solchen Extremen, dass es mal das Filigrane der verschnörkelten Architektur hervorhebt, den Dom aber auch wie ein in Stein gehauenes Dröhnen und Donnern erscheinen lassen kann.

Wer über solch eine Aussicht verfügt, wollte man meinen, braucht nichts sonst. „Hier gehen wir nicht mehr weg“, sagen sie. Und wenn sie doch einmal müssen, auf Reisen sind, in anderen Städten? Dann denken wir an die Bläck ­Fööss, sagen sie, und den Refrain deren Spanien-Lieds: „He fählt nur vum Balkon, die Aussich op d’r Dom.“ Sie sagen es nicht nur. Sie summen es in der Melodie.

„DOM – 21.05.2017 bis 12.09.2018“, herausgegeben von Elmi und Hanspeter Kottmair mit Peter Füssenich. Mit einem Essay von Martin Stankowski sowie etlichen Kurzbetrachtungen unter anderen von Henriette Reker, Yilmaz Dziewior und Tom Buhrow. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2023. 296 Seiten, 285 Fotografien. Gebunden, 120 Euro.

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