Baume-Schneider macht weiter, wie Berset aufhörte

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Die SP-Bundesrätin will im 13-Milliarden-Streit um den Arzttarif eine weitere Zusatzrunde drehen. Der Friede zwischen Ärzten und Spitälern bröckelt. Neue Zahlen wecken Zweifel am vermeintlichen Wundermittel der Pauschaltarife.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zögert bei der Reform des Arzttarifs.

Peter Klaunzer / Keystone

Am Freitag findet in Bern ein klandestines Treffen auf höchster Ebene statt. Das Departement von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat das Spitzenpersonal aller relevanten Verbände des Gesundheitswesens zusammengerufen, von den Ärzten und den Spitälern bis zu den Krankenkassen. Das Thema: der jahrelange Streit um den ambulanten Tarif Tarmed, der schon lange heillos veraltet ist, aber immer noch gilt. Dies ist umso bedenklicher, als dieses Regelwerk ein beträchtliches Volumen steuert: Ärzte und Spitäler rechnen Jahr für Jahr Leistungen für rund 13 Milliarden Franken über den Tarmed ab.

Die Blockade steht exemplarisch für die Probleme der Gesundheitspolitik, die im Vorfeld der Abstimmung vom 9. Juni viel zu reden geben. Das Volk entscheidet nicht nur über einen Ausbau der Prämienverbilligung, sondern auch über eine «Kostenbremse», deren Urheber gern auf den epischen Tarifstreit verweisen.

Die Diagnose ist unbestritten: Mit dem Tarmed werden manche Behandlungen und Untersuchungen etwa in der Radiologie oder der Augenmedizin zu teuer bezahlt, vor allem weil der Tarif den technischen Fortschritt nicht berücksichtigt. Andere Leistungen sind unterbezahlt. Politisch ist das Ziel klar: Man will eine kostenneutrale Umverteilung. Spezialisten sollen tendenziell weniger verdienen, Grundversorger wie Haus- und Kinderärzte sowie Psychiater sollen gestärkt werden.

Aber es will einfach nicht gelingen. Zwar liegen zwei Vorschläge für einen neuen Tarif vor, doch keiner wird von allen Akteuren unterstützt. Der frühere Gesundheitsminister Alain Berset wollte oder konnte kein Machtwort sprechen. Stattdessen verlangten er und seine Spezialisten immer neue Abklärungen, definierten immer neue Auflagen. Auch wenn der Durchbruch ausblieb, so schien bei Bersets Abgang Ende 2023 immerhin die Richtung zu stimmen. Die Verbände hatten sich angenähert, gründeten ein gemeinsames Tarifbüro, zogen an einem Strick. Konnte man meinen.

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Ärzte setzen Baume-Schneider unter Druck

Doch nun sind die Risse, die sich vor Bersets Rücktritt erst angedeutet hatten, nicht mehr zu übersehen. Offen zutage getreten sind sie am Donnerstag, just einen Tag vor dem Spitzentreffen in Bern. Der Ärzteverband FMH machte mit einer Medienmitteilung indirekt den neuen Plan der Gesundheitsministerin publik, den sie bisher unter dem Deckel gehalten hatte: Baume-Schneider will anscheinend in Bersets Stil weitermachen und eine weitere Zusatzrunde drehen. Die Ablösung des überholten Tarifs soll demnach erneut verschoben werden – von 2025 auf 2027.

Das wollen sich die Ärzte nicht bieten lassen. Sie erhöhen den Druck auf die neue Gesundheitsministerin: Die FMH-Delegierten haben Baume-Schneiders Vorgehen am Donnerstag scharf kritisiert und erklärt, ihr Plan gefährde die Patientenversorgung. Der Bundesrat solle nun endlich seine Verantwortung wahrnehmen, statt immer neue und willkürliche Auflagen zu machen.

Konkret verlangen die FMH-Delegierten die «schnellstmögliche» Einführung ihres eigenen Tarifvorschlags (Tardoc). Diesen haben die FMH und der Krankenkassenverband Curafutura bereits 2019 erstmals eingereicht. Seither haben sie auf Anweisung des Bundes mehrmals nachgebessert, ein Konzept für die Kostenneutralität über mehrere Jahre liegt ebenfalls vor. Laut Curafutura wären die Gesundheitskosten 2022 um 190 Millionen Franken tiefer gewesen, wenn der Bundesrat den Tarif eingeführt hätte. Laut FMH würde der Tarif dank einem neuen Hausarztkapitel auch die verlangte Stärkung der Grundversorger gegenüber den Spezialisten ermöglichen.

Die Finanzierung ambulanter Leistungen sorgt für Konflikte zwischen den Ärzten mit eigener Praxis und den Spitälern.

Die Finanzierung ambulanter Leistungen sorgt für Konflikte zwischen den Ärzten mit eigener Praxis und den Spitälern.

Annick Ramp / NZZ

«Zahlreiche inhaltliche Mängel»

Und doch zögert das Departement Baume-Schneider. Offenkundig will sie den Tarif von FMH und Curafutura nicht isoliert einführen, sondern nur gemeinsam mit dem zweiten Vorschlag, der im Raum steht. Diesen haben die Spitäler und der andere Krankenkassenverband, Santésuisse, erarbeitet und letztes Jahr eingereicht. Dabei handelt es sich erstmals um einen ambulanten Tarif mit Pauschalen. Damit würden die Ärzte für eine bestimmte Operation oder Behandlung einen fixen Gesamtbetrag in Rechnung stellen. Heute hingegen rechnen sie jede einzelne Leistung separat ab. Das wäre auch beim neuen Tarif von FMH und Curafutura der Fall.

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Hier kommt die Politik ins Spiel. Tarife mit Einzelleistungen sind in Verruf geraten, sie gelten als kostentreibend, als Paradies für gierige Ärzte. Pauschalen hingegen werden schon fast als Wundermittel gehandelt. Das Parlament will, dass sie Vorrang haben.

Das geht so weit, dass der Bundesrat nun davor zurückschreckt, den neuen Tarif mit Einzelleistungen einzuführen, obwohl er laut FMH und einer Mehrheit der Krankenkassen besser wäre als der heutige. Er soll erst gelten, wenn gleichzeitig die Pauschalen eingeführt werden können. Aber wann wird das sein? Für die FMH ist der Fall klar: noch lange nicht. Die vorliegenden Pauschalen von Santésuisse und den Spitälern wiesen «zahlreiche inhaltliche Mängel» auf, so die FMH.

Auch Pauschalen können kostentreibend sein

Die Ärzte sind mit ihren Bedenken nicht allein. Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) warnt sinngemäss davor, dass die Pauschalen – entgegen den grossen Hoffnungen der Politik – zu einem Kostenschub führen können, wenn sie nicht sorgfältig gemacht sind. Dies geht aus einer vertraulichen Stellungnahme hervor, in der sich das BAG im Juni 2023 zur ersten Version der Pauschalen äussert. In dem Papier, das die NZZ einsehen konnte, steht unter anderem, der Leistungsinhalt der Pauschalen sei nicht klar definiert. Damit sei auch die Abgrenzung zu anderen Tarifen unklar, was zu einer Mengenausweitung und somit zu höheren Kosten führen könne.

Zu befürchten wären laut dem BAG auch Doppelabrechnungen, die von den Versicherern nicht korrigiert werden könnten. Das Amt hält zudem tadelnd fest, die Kostengewichte seien «teilweise eher hoch». Generell ist laut BAG die Datengrundlage unzureichend. Vor allem müssten auch spezialisierte Operationszentren einbezogen werden, weil diese oft günstiger arbeiteten als die Spitäler. Wenn sie fehlen, fallen die Pauschalen umso höher aus – zum Vorteil der Spitäler.

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Konkrete Vergleiche auf Basis der neusten Tarifversionen zeigen teilweise erstaunliche Differenzen. So könnte etwa der Preis einer Hernienoperation mit den vorliegenden Pauschalen doppelt so hoch ausfallen wie heute (rund 4000 statt 2000 Franken). Eine relativ häufige Untersuchung wie die Anoskopie (Enddarmspiegelung) könnte 480 statt 250 Franken kosten.

Dieselben Vorwürfe hüben und drüben

Die Zahlen lassen vermuten, dass die Erwartungen der Politik an die Pauschalen übertrieben sind. Und sie illustrieren den Verteilkampf zwischen den Ärzten mit eigener Praxis und den Spitälern. Wenn der Vorschlag von FMH/Curafutura effektiv eine Umverteilung zugunsten der Grundversorger bewirkt, ist dies kaum im Interesse der Spitäler. Sie bieten vorwiegend spezialisierte Leistungen an, schreiben heute schon vielfach Defizite und rufen deswegen nach höheren Preisen. Umgekehrt argwöhnen freischaffende Ärzte, dass die Spitäler die Pauschalen so kalkuliert hätten, dass sie mehr einnähmen. In diesem Fall aber würde die Kostenneutralität dazu führen, dass auch Haus- und Kinderärzte finanziell bestraft würden.

Bundesrätin Baume-Schneider steht vor schwierigen Fragen. Die beiden Lager haben sich wieder entfremdet. Sie werfen sich gegenseitig vor, ihre Vorschläge würden höhere Kosten bewirken. Und die Zeit drängt. Was ist Baume-Schneiders Plan? Letzte Woche wurde sie im NZZ-Interview gefragt, wie sie die Blockaden überwinden wolle. Antwort: «Durch Zusammenarbeit.»

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