Die Insel Tasmanien
Eine Reise nach Tasmanien ist kein Katzensprung. Von Deutschland liegt es 16.500 Kilometer entfernt, man muss anderthalb Flugtage einplanen und mindestens zwei Zwischenstopps. Mehrere Monate war dagegen der niederländische Seefahrer Abel Tasman von Indonesien aus unterwegs, als er Ende 1642 die Landmasse südlich des australischen Festlands erreichte. Er nannte sie Van-Diemens-Land (nach dem Gouverneur von Niederländisch-Indien), die Briten benannten die Insel später nach Tasman, dem europäischen Entdecker.
Die Besiedlung durch die Briten begann wie die des australischen Festlands: Straftäter aus überfüllten Gefängnissen in England wurden dorthin verfrachtet, die rund 5000 tasmanischen Ureinwohner wurden von den Neusiedlern komplett ausgerottet. Die heutige Einwohnerzahl der Insel, die zugleich Australiens kleinster Bundesstaat ist, beträgt eine gute halbe Million.
Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, vor allem die Natur zieht Reisende auf die gebirgige Insel, die etwa so groß wie Irland und fast zur Hälfte von Nationalparks bedeckt ist. Urlauber gehen hier auf Bushwalk.
Populär sind der Mole Creek Karst National Park mit tiefen Schluchten und Höhlen, darunter die Marakoopa Cave mit ihrer gigantischen Glühwürmchen-Population, und der Mount-Field-Nationalpark, wo 400 Jahre alte Bäume stehen und sich die Russell Falls 265 Meter über Felstreppen in die Tiefe stürzen.
Bekannt für sein weites Grasland ist der Narawntapu-Nationalpark – er wird wegen seiner Artenvielfalt auch als Serengeti Tasmaniens bezeichnet. Neben diversen Kängurus bekommt man hier auch das Schnabeltier zu Gesicht, eine der wenigen Säugetierarten, die Eier legen.
Diese Tiere blieben vom Dingo verschont
Der Dingo ist schuld: Die Tierart, die genetisch zwischen Wolf und verwilderten Haushunden anzusiedeln ist, wurde vor Jahrtausenden aus Asien nach Australien eingeschleppt und vermehrte sich auf dem Festland des Fünften Kontinents stark. Ihr Hunger war gewaltig – und sorgte dafür, dass einige Beuteltierarten auf dem Mutterkontinent ausstarben.
Nur in Tasmanien wurde der Dingo nicht heimisch. So konnten die auf dem Festland verschwundenen Tierarten auf der abgeschiedenen Insel überleben, etwa der Beutelteufel. Seinen Namen bekam das Beuteltier wegen seines schwarzen Fells, seiner Kreischgeräusche und seiner Ohren, die sich bei Aufregung rot färben. Obendrein verbreitet er im erregten Zustand einen üblen Geruch.
Auch das gerade mal 30 Zentimeter große Bürstenrattenkänguru behauptete sich auf Tasmanien. Beide Arten gelten als endemisch, sprich: Sie kommen in der Natur nur dort vor. Weshalb der Beutelteufel oft auch Tasmanischer Teufel genannt wird.
Einer der schönsten Strände der Welt
Mehrmals schon wurde die Bucht mit dem hübschen Namen Wineglass Bay zu einem der schönsten Strände der Welt gewählt. Und tatsächlich: Steigt man auf die Hügel und Aussichtspunkte im Hinterland der Bucht, sieht man, dass sie in ihrer Form entfernt an ein Weinglas erinnert.
Die Wineglass Bay liegt an der Ostküste Tasmaniens im bereits 1916 gegründeten Freycinet-Nationalpark, den man nach rund drei Autostunden von der Hauptstadt Hobart aus erreicht. Um zur Bucht zu gelangen, ist vom letzten Parkplatz ein rund einstündiger Fußmarsch zu absolvieren, weshalb das Naturwunder praktischerweise nie überlaufen ist. Mit ein bisschen Glück sieht man von den Aussichtspunkten Delfine und sogar Buckelwale im türkisblauen Wasser ihre Runden drehen.
Die Meeressäuger lockten im 19. Jahrhundert Walfänger an, es gab hier eine Walfangstation – ein weiterer Grund für den skurrilen Namen der Bucht: Das Wasser färbte sich rot vom Blut der abgeschlachteten Wale. Von den Hügeln aus sah es so aus, als würde ein Glas mit Rotwein gefüllt.
Die wichtigste Attraktion in Hobart
Tasmanien bietet nicht nur eine reiche Natur, sondern auch ein überraschendes Kulturhighlight – in Form des MONA (Museum of Old and New Art) in Hobart. Es zeigt antike, moderne und zeitgenössische Kunstwerke aus der Privatsammlung von David Walsh mit Schwerpunkt auf Sex, Verfall und Tod.
Das 2011 eröffnete Museum ist größtenteils unterirdisch angelegt und hat keine Fenster, dafür aber viele Treppen, spielerische Installationen und Freiflächen. Walsh bezeichnet sein Projekt als „subversives Disneyland für Erwachsene“. Für Lonely Planet, den größten Reisebuchverlag der Welt, ist das MONA die wichtigste Touristenattraktion in Tasmaniens Hauptstadt, vergleichbar mit dem Guggenheim-Museum im nordspanischen Bilbao.
Die sauberste Luft der Welt
Feinstaub und Smog? Gibt es hier nicht. Auf Cape Grim im äußersten Nordwesten Tasmaniens gibt es laut Weltwetterorganisation WMO die sauberste Luft der Welt, jedenfalls dann, wenn der Wind aus Südwest bläst. Von Cape Grim aus ist das nächstgelegene Festland Richtung Süden die Antarktis und Richtung Westen Argentinien – die von dort kommende Luft war rund 15.000 Kilometer unterwegs und enthält keine messbaren Schmutzpartikel mehr.
Am Kap wird die Frischluft inzwischen vermarktet: Ein Kollektiv von Rinderzüchtern wirbt mit Verweis auf die Luftqualität und das gesunde Gras damit, Australiens bestes Rindfleisch zu produzieren. Touristen können Touren buchen – unpassenderweise auch per Hubschrauber.
Die letzte Überlebende der Urbevölkerung
Elf Kinder zeugte Fanny Cochrane Smith mit ihrem Mann, einem Engländer. Das ist von Bedeutung: Denn als die Aborigine 1905 starb, verschied nicht nur eine kinderreiche Mutter, es starb auch die letzte Überlebende der tasmanischen Urbevölkerung, deren Ausrottung mit der Ankunft europäischer Seefahrer begonnen und sich mit dem Black War unter den britischen Kolonisten zum Genozid entwickelt hatte.
Die heutigen Tasmanier, die sich als legitime Nachfahren der Urbevölkerung verstehen, sind Nachkommen aus tasmanisch-europäischen Mischbeziehungen – ein Großteil davon steht in einer Verwandtschaftslinie mit Smith. Die auch Sängerin war: Von ihr stammt die einzige erhaltene Tonaufnahme einer indigenen tasmanischen Sprache, aufgenommen zwischen 1899 und 1903, nachzuhören auf der Website des National Film and Sound Archive of Australia.
Das Zitat
„Wenn ich wählen müsste, würde ich nach Tasmanien gehen“
Das schreibt der italienische Schriftsteller Paolo Giordano in seinem 2023 erschienenen Roman „Tasmanien“. Darin leidet sein Alter Ego unter Kriegen, Klimawandel und einer persönlichen Krise. Er macht sich auf die Suche nach einem Ort, an dem eine Zukunft möglich scheint, sollte es zur Apokalypse kommen.
Und wird in Tasmanien fündig. Mit guten Gründen: „Es ist südlich genug, um nicht unter extremen Temperaturen zu leiden. Es hat reichlich Süßwasserreserven, wird demokratisch regiert und es leben dort keine Fressfeinde des Menschen.“
Skurriles, Rekordverdächtiges, Typisches: Weitere Teile unserer Länderkunde-Serie finden Sie hier.