Mehr Forschergeist geht auf keine Kuhhaut

Als Harald zur Hausen auf einem gelben Post-it-Zettel die Kuh mit der roten Blüte im Maul malte: Das war wissenschaftliches Slapstick vom Allerfeinsten, er lachte, wir lachten, nur verstehen konnte es keiner. Um ihn herum saßen an diesem Julitag vor elf Jahren ein paar Dutzend anderer Nobelpreisträger und ihre Begleitungen zur Feier der Lindauer Nobelpreisträger in der alten Inselhalle direkt am Bodensee zusammen. Neben dem Protokollarischen waren sie alle mit einer teilchenphysikalischen Sensation beschäftigt: In der Woche nämlich war der Nachweis des Higgs – des „Gottesteilchens“ – bekannt gegeben worden, ein künftiger Nobelpreis, keine Frage, und wir baten die Nobelpreisträger das, was ihnen beim Nachdenken über das Gottesteilchen durch den Kopf ging, mit Buntstiften auf Post-its niederzumalen.

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Viele zeichneten Striche, Wellen, ein galaktisches Gekritzel war das. Nur Harald zur Hausen war mit seinen Gedanken ganz woanders, er zauberte statt den kosmischen Teilchenzauber die Kuh mit Blüte aufs Blatt. Thema verfehlt? Kein bisschen, vielmehr war das Harald zur Hausen, wie er leibt und lebte: mein Gottelsteilchen, das ist meine Obsession. Und diese wissenschaftliche Besessenheit war, auch wenn das damals nur wenige ahnten, schon ganz eng verknüpft mit der Kuh, beziehungsweise dem Rind. Eine Verbindung, die den Krebsforscher und Mediziner nicht mehr loslassen sollte, jedenfalls nicht, solange er sein Emeritus-Labor am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg betreten konnte. Fast bis zum Schluss also.

Krebsviren in Kühen und Milch?

Harald zur Hausen bremsen zu wollen, wenn er drauf und dran war, etwas für ihn Bedeutendes und bahnbrechend Neues gegen den Widerstand der anderen beweisen zu können, das war noch niemandem gelungen. Seine jüngere Gattin, eine Virologin, mit der er früh zusammenarbeitete, die er Anfang der neunziger Jahre heiratete und die mit ihm diese jüngste Kuh-Hypothese verfolgte, war in der Hinsicht seine wichtigste Verbündete. So also war auch dieses letzte Jahrzehnt im Leben des erfolgreichsten deutschen Krebsforschers bei allem Ringen mit dem Alter und einigen Skeptikern, eine für ihn höchst vielversprechende, aufregende Experimentierzeit. Mehr Forscher- und Widerstandsgeist geht buchstäblich auf keine Kuhhaut.

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Zur Hausens letzte große Obsession ging auf die ersten Belege zurück, dass zu viel Rindfleisch essen Krebs auslösen könnte. Natürlich gab es Hinweise, dass beim Braten selbst krebserregende Stoffe entstehen können, aber gebraten wird auch Geflügel- oder Schweinefleisch. Warum findet man hier kein erhöhtes Darmkrebsrisiko, fragte sich zur Hausen. Seine Antwort lautete: Viren. Neue onkogene, sprich: krebserregende Viren. Genauer: einsträngige DNA-Ringe, die es ins Rindergewebe und auch in die Milch schafften.

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